In Mieso ist Halbzeit, ca 14 Uhr, sechs Stunden sitzt man dann schon im Zug. Raus aus dem Zug kann man, wie an allen Stationen, nicht, da sind sie hart, die Kondukteure, die Ordnungskräfte, die Chinesen, es sei denn, man sei am Ziel. Doch wer will hier am Ziel sein, mitten in den Pampas in der ostäthiopischen Steinwüste. Hier treffen zwei Provinzgrenzen aufeinander und auch die Lebensräume zweier nicht immer gut aufeinander zu sprechender Volksgruppen: die der Afar und die der Issa. Beide Ethnien gehören zum multientnischen Staat Äthiopien. Die Afar leben überwiegend im Nordosten, in Eritrea (was ja einst eine Provinz in Äthiopien war) und in Djibuti. Die Issa lebenvorweigend im Osten, in Somalia und ebenfalls in Djibuti. Schaut man rechts aus dem Zug, blicke ich auf das Land der Afar. Links sind die Issa.
Beide Volksgruppen sind, oder waren ursprünglich Nomaden. Als es von beiden noch nicht viele gab, hatten sie keine Probleme miteinander. Doch in Äthiopien verdreifachte sich die Bevölkerung in 50 Jahren auf heute 105 Mio Menschen. Da kommt es zwangsläufig zu der einen und anderen Auseinandersetzung, zumal das Land im Osten nicht gerade als superfruchtbar gilt. Natürlich sind die Provinzgrenzen nur hypotetische Grenzen und wohl niemand weiss genau, wo sie verlaufen. Die Nomaden lassen ihre Tiere fressen wo es etwas zu fressen gibt. Mal ist das hüben des Bahntrassee, mal drüben. Wenn das Vieh, Ziegen, Rinder, Kamele, über die Bahnschienen will, dann geht es und der Zug muss anhalten. Das macht er bis Addis zirka 20 Mal. Deshalb kann er auch nie mehr als (gefühlte) 60km/h fahren, obwohl die Strecke für 160km/h gebaut wurde.
In Mieso teilt die Bahnstrecke zwei Lebensräume, doch auch die Strecke selbst teilt sich hier (unsichtbar). Nämlich wurde der Teil von Addis bis hier von der China Railway Corporation gebaut, der Teil ab hier bis zur Landesgrenze nach Djibuti Ville von der China Civil Engineering Construction. Insgesamt kostete die ganze Strecke (inkl. der djibutische Teil), die 2018 eröffnet wurde, 3.3 Mia US$. Früher schon existierte hier eine Eisenbahnverbindung von Addis bis Djibuti Ville. Doch sie verfiel im Laufe der Jahre und wurde um 2000 stillgelegt. Seither verrottet sie in der steinigen Wüste. Wobei man bei Schienen und Schwellen aus Stahl eher von verrosten sprechen muss, was vermutlich zirka 1000 Jahre brauchen wird. Wären die Schwellen aus Holz, wären sie schon längst nicht mehr da, weil von Termiten gefressen oder von den Nomaden verheizt.
Zum Bild: Nomadische Unterkunft. Afar oder Issa?