Wir sind nun im Bundesstaat Amhara. Beim Ort mit diesem Namen trennen sich zwei Strassen. Beide führen nach Bahar Dir, die Stadt am Lake Tana, unserem Ziel für heute. Links wäre der Weg etwas länger, weiss Fahrer Balai, rechts wären wir etwas schneller da. Er fragt einen Passanten, ob die Strasse rechts durchgängig sei. Der Passant sagt ja, bzw. aus seiner Miene kann ich entnehmen, dass dem so sei. Verstehen tu› ich nichts. Balai erklärt mir: «Dies ist Amhara-Land», und sagt dann nur noch: «politics!» Mehr Englisch kann er nicht. Ausserdem, so merke ich beim Nachrecherchieren, ist die Situation in der Gegend hier auch nicht ganz einfach zu erklären.
Wir fahren rechts. Später erleben wir zahlreiche Checkpoints, die aber fast alle von Zivilisten besetzt sind und bei allen kommen wir ohne Probleme durch. An manchen Orten werden Strassenfeste (es ist Sonntag) gefeiert, wobei dann ein Teil der Strasse gesperrt ist und wir uns irgendwie durchmogeln müssen mit dem Toyota. Ich komme nach wie vor nicht draus, was hier abgeht. Gefährlich scheint mir die Lage nicht, obwohl die Amhara-Leute manchmal recht grimmig dreinblicken und mancher Mann einen alten Karabiner bei sich trägt.
Nicht viel klarer wird die Sache auch bei der Nachrecherche nicht. Im Juni habe es In der Regionshauptstadt Bahar Dir einen Putschversuch gegen die Regionalregierung gegeben, lese ich. Dabei sei ein Mitglied der Regierung erschossen worden, gleichzeitig auch der Generalstabschef Äthiopiens, dieser aber in der Hauptstadt Addis (vom eigenen Bodyguard umgelegt!). Im November habe es an zwei Universitäten im Land Zusammenstösse zwischen Studenten der Amhara-Ethnie und der Oromo, die drittstärkste Ethnie, gegeben, dabei seien etliche Studenten getötet worden. Die Gründe für die clashes sind immer noch unklar.
Klar aber ist, dass die Amhara, einst die bestimmende Ethnie in Äthiopien, immer noch ein stolzer Menschenschlag sind, aufrührerisch und etwas überheblich, und vielleicht auch etwas nachtragend, was den Verlust ihrer Führungsposition, die sie einst hatten in Abessinien, betrifft. Die Amhara waren die wichtigste staatstragende Volksgruppe Äthiopiens. Verzwickte Sache also. Ob wir bedroht sind wenn wir die Strasse rechts fahren, weiss ich nicht und will ich auch nicht wissen. In acht Stunden werde ich denken: nichts passiert. Dann, wenn wir nach dem letzten Checkpoint die Stadt Bahar Dir erreicht haben werden, wird Balai wieder mit der rechten Hand fuchteln: «Politics!».
Erst viel später, also heute, finde ich die Warnung der Regierung im Netz:
«Individuals present in Amhara and Oromia regions are advised to monitor the situation, avoid any large gatherings and demonstrations due to the risk of violence, and adhere to all instructions issued by the local authorities or their home government.»
Alles gut gegangen, ich lebe noch. Und die Amhara sind freundliche, liebe Leute, wie ich feststelle.