Desert Camp bei Kilometer 222 – Wechsel vom Zug aufs Pick-up – Fünf Stunden sitzen auf der Kühlbox macht auch nicht geschmeidiger – Nie wissen wo man eigentlich ist
AGUEIJIT. Bei Kilometer 222 hält unser Zug zum zweiten Mal. Endstation für uns, wir müssen raus aus dem Führerstand. Der Zug wird hier über Nacht stehen bleiben, wir auch. Doch wir übernachten nicht im Zug oder im Hotel (welches Hotel?), sondern im Zelt und mitten in der Wüste. Während es schon längst Nacht geworden ist (In Mauretanien ist es um dies Jahreszeit wegen der Zeitverschiebung und weil keine Sommerzeit um 20h15 dunkel) bereitet uns Achmad den Znacht zu. Es gibt im Reis gekochtes Kamel, Wasser und Pulverkaffee (uäähh!), Achmad und Chauffeur Adama haben den Zug mit dem Pick-Up die ganze Zeit bgeleitet bzw. sind vorausgefahren, ohne dass wir sie sahen. Der Toyota hat die 222 Kilometer seit Naouadhibou nur während der ersten 80 Kilometer auf einer Strasse hinter sich gebracht, dann war nichts mehr, keine Strasse, auch keine Piste, nur Wüste, öde, flache, meist graue Wüste. Dass es von nun an fast die ganzen vier noch folgenden Tage so sein wird, wissen wir noch nicht.
Dass der Zug hier hält, wussten wir auch nicht. Dasss er irgendwann halten und uns aussteigen lassen wird, wussten wir schon – nur wann? Die letzten Stunden auf einer Camping-Kühbox (der nicht kühl war und stets unter meinem Gewicht zusammenzubrechen drohte, aber immerhin konnte ich sitzen und nach vorne aus dem Fenster sehen, was der viert Mann im Führerstand (seine Rolle konnte ich nicht abschliessend klären, ich nenne ihn den Handlanger)) waren nicht sehr bequem. Wo wir uns befanden, war uns auch völlig unbekannt, dazu konnten der Zugführer und der Funker (plus der Mechaniker und eben der Handlanger) uns nichts sagen. Kein Ort – keine Ortsangaben. Kein Internet – kein maps. Keine Strasse – keine Strassenkarte. Nur die Kilometertäfelchen neben den Geleisen. Einmal hat der Zug angehalten, in Bou Lanuar, da wo die Strasse von Nouadhibou nach Nouakschott nach Süden dreht. Warum der Zug angehalten hat, wissen wir nicht. Es gab keine Kreuzung, nichts wurde zu- oder abgeladen. Ein paar Mitfahrwillige standen am Bahnhof, doch wir hatten keinen Platz mehr. Der Chefmechaniker machte eine Kontrollrunde um die Lok und die ersten Wagen, nach zehn Minuten fuhr der Zug weiter.
Irgendwann geht die Sonne unter. Der Funker macht sein Gebt in der Führerkabine. Nach ihm auch der Handlanger. Alle anderen beten nicht. Dann leitet der Lokführer ein Bremsmanöver ein, was beim Gewicht von etlichen Wassertankwagen und Baugeräten sowie neuen Schienen auf rund einem Dutzend Güterwagen zwei Minuten dauert, bis der Zug steht. Agueijit. Ein Kaff in der totalen Wüste. Ein paar armselige Häuschen, ein Gendamerieposten und die verminte Grenze zur Westsahara in Greifweite. Und eben der Bahnhof. Eine Kreuzungsstelle mit sogar einem dritten Gleis. Bei Sonnenaufgang morgen um kurz nach sechs Uhr werden sich hier zwei Erzzüge kreuzen während unser Servicezug auf dem dritten Gleis auf die Weiterfahrt wartet. Wir werden ihn ziehen lassen und mit dem Toyota die erste Wüstenetappe nach Chinguetti in Angriff nehmen.