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Camp Lemonnier

Wächter über den Golf

Im Nachgang der 9/11-Anschläge wurde George W. Bush, kaum im Amt, von der Idee beschlichen, dass alles terroristische Übel aus der Region am Horn von Afrika kommen muss. Seit November 2002 bauen darum die US-Streitkräfte im Rahmen des internationalen Programms «Operation Enduring Freedom – Horn of Africa» (OEF-HOA, seinerseits Teil des internationalen Programms «Operation Enduring Freedom», das u.a. Afghanistan die andauernde Freiheit bringen sollte) ihre «Combined Joint Task Force – Horn of Africa (CJTF-HOA)» im Camp Lemonnier in Djibouti sukzessive aus. Rund 4 000 Soldaten und Soldatinnen leisten auf der ehemals französischen (nach General Emile-René Lemonnier benannten) und nun grössten amerikanischen Militärbasis auf dem afrikanischen Kontinent Dienst. Aufgabe der CJTF-HOA ist es, Sicherheit und Stabilität in der Region herzustellen, wozu auch die Bekämpfung von terroristischen Aktivitäten und der Waffenschmuggel zählt. Durch die Resolution 1368 (die die OEF erst ermöglicht hatte) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 12. September 2001 legitimiert, mischeln die USA nun in den Kriegen, Bürgerkriegen und sonstigen Unruhen der Region (Sudan, Somalia, Djibouti, Äthiopien, Eritrea, Seychellen und Kenya) mit, doch auch Mauritius, die Komoren, Liberia, Ruanda, Uganda und Tansania zählen zu den Eventualeinsatzgebieten. Dazu muss das Personal der CJTF-HOA oft nicht einmal das Camp verlassen. Mit raketenbestückten Predator-Drohnen über dem Jemen schickt man schon mal den ein oder anderen Al Kaida-Chef ins Jenseits.

Aus: «Mediterranea», grippedbäg, 2015

Was ich da vor fünf Jahren geschrieben habe, als ich mit dem Containerschiff «CMA CGM Hydra» durch den Golf von Aden an Djibouti vorbeituckerte, stimmt immer noch. Nur hat sich für die Amerikaner die «Bedrohungslage» leicht nach Nah-Ost verschoben. Doch auch dieser Teil der Erde ist von Djibouti aus leicht überwachbar, bzw. fernsteuerbar, wenn es darum geht, Militärchefs anderer Nationen auszulöschen. Lies dies: https://www.defenceweb.co.za/…/us-continues-to-expand-djib…/

Mittlerweile sind aber auch die Chinesen in Djibouti und bauen einen militärischen Stützpunkt auf. Ihnen geht es weniger um das militärisches Eingreifen, das auch wenn nötig, als eher um den Schutz ihrer Handelswege, die «Neue Seidenstrasse».

Camp Lemonnier

Djibouti Ville

Dschibouti, Djibuti, Djibouti – fast keine/r weiss wie mans richtig nennt, und ebenso fast niemand weiss, wer, was oder wo das ist. Als ich mich in den letzten Wochen mit Plänen für Äthiopien, Eritrea und eben Djibouti (die französische Schreibweise gefällt mir am besten) befasst habe, habe ich diese Pläne auch manchem/r aus meiner Umgebung mitgeteilt. Dischibuti was? Dschibuti wie? Klingt gut, Djibouti, sagten sie, aber hä?

Wäre Djibouti ein Neckermann-Hotspot oder was für Hipster oder Digital Nomads, gäbe es diese Fragen nicht. Aber dann wäre ich auch nicht hier. Seit Dienstag bin ich in Djibouti, genauer Djibouti-Ville. Die Stadt heisst wie das Land. Handkehrum ist Djibouti nicht viel mehr als Djibouti-Ville, knapp eine halbe Million der 875’000 DjiboutierInnen lebt in der Hauptstadt dieses ziemlich kleinen Landes am Horn von Afrika. Horn von Afrika? Noch eine Wissenslücke? Das Horn von Afrika ist Somalia. Das mittelaterlichste Land von Afrika ist Eritrea am Roten Meer. Djibouti liegt exakt dazwischen und ist weder eine Autokratie noch ein Bürgerkriegsland. Djibouti ist frei und unabhängig seit 1977. Das kleine Land ist etwa so gross wie die Insel Sardinien, nämlich 23’200 km2.

Djibouti ist kein touristisches Traumziel. Obwohl es das ganze Jahr min. 30° ist und die Sonne immer scheint. Obwohl es ein islamistisches Land ist und es trotzdem Alkohol gibt. Obwohl es etliche Kilometer Sandstrände hat und davor etliche Tauchgründe, die sich zu beschnorcheln lohnen würden. Wahrscheinlich ist aber Djibouti einfach viel zu dreckig, vielleicht hat es ganz einfach keine Hotels um Urlaub zu machen, vielleicht ist es im Sommer tatsächlich viel zu heiss (40–45°), vielleicht ist es einfach noch keinem Touristikmanager eingefallen, Djibouti touristisch zu erschliessen. Aber vielleicht wollen die DjiboutierInnen keine Touristen, es gibt ja schon genügend Flüchtlinge. «Es hat mehr Flüchtlinge als DjiboutierInnen», sagte heute mein Taxifahrer und knöpfte mit 1’500 Djibouti-Francs ab für eine Fahrt von 15 Minuten (8 CHF). Das könnte ein weiterer Grund sein, warum keine/r nach Djibouti reist: es ist sauteuer. Warum das so ist, ist mir ein Rätsel. Das Land hat nichts, was es verkaufen könnte, kein Öl, keine Bodenschätze, keinen Tourismus, keine Finanzwirtschaft, einfach nichts, was Geld bringt, und trotzdem ist das Preisniveau so hoch. Djibouti hat nur furztrockenen Boden, auf dem nichts wächst. Den verpachtet Djibouti offensichtlich aber so gewinnbringend an ausländisches Militär, dass es das BSP des Landes in die Nähe der Schweiz hebt.

«Emmentaler» zu 11.50 CHF/kg im Supermarché für Expats in Djibouti Ville

Käse in Supermarkt Djibouti
djibouti

Djibouti

djibouti

Bis vor 25 Jahren lebten hier noch Nomaden. Die Franzosen haben dafür gesorgt, dass aus den «Rumtreibern» Sesshafte wurden. Mitte des 20. Jahrhunderts lebten in dem kleinen Land (das ja erst durch die Franzosen als Kolonialherren zu einem Land mit Grenzen wurde) um die 60’000 Menschen. Danach ging es explosionsartig voran, heute sind es fast eine Million. Das hat mit der Urbanisierung (Landflucht) zu tun und nicht nur mit der Fortpflanzungsfreudigkeit der Menschen am Horn von Afrika. Djibouti liegt strategisch günstig und bietet Boden für rege Handelstätigkeit. Der Hafen von Djibouti-Ville und die militärischen Stützpunkte der Amerikaner, Franzosen, Italiener, Japaner und nun auch der Chinesen bieten Arbeitsplätze. Aber nicht alle, die in die Hauptstadt zogen, fanden hier einen Job. Offiziell ist die Arbeitslosenrate bei 60 Prozent. Die Automatisierung des Hafens sorgt nicht eben für neue, im Gegenteil. Und doch stiegen in den letzten 25 Jahren in Djibouti-Stadt die Einkommen, die Preise und die Lebensqualität, derweil das Drittel der Bevölkerung, das noch auf dem Land lebt, von dem nicht allzuviel mitbekommt.

Und nun sind auch die Chinesen da. Still und leise, bzw. von Europa und dem Rest der Welt nicht wirklich registriert, installieren sie sich, investieren sie und reissen sich Hektare um Hektare wichtigen Baugrund unter den Nagel. Djibouti soll zu einer wichtigen Drehscheibe auf der neuen Seidenstrasse, «One Road, one Belt», werden, bzw. ist es schon längst. Durch den Golf von Aden vor Djibouti fährt ein Drittel des globalen Handelsschiffsverkehrs. Ein Teil davon läuft den Hafen von Djibouti an und wird hier umverteilt oder auf die Züge und Lastwagen nach Äthiopien verladen, wo mehr als 100 Mio Menschen versorgt werden wollen. Kein anderer Hafen an der Küste des Roten Meers kann diese Aufgabe erfüllen. Das kleine Djibouti ist das Tor nach Nordostafrika.

Handelströme brauchen sichere Wege und Umschlageplätze- und das bietet Djibouti. Die Regierung begrüsst und fördert den Handels- und Militärverkehr und hält die Hand hin. Von den Lizenzen und Pachtzinsen aus dem Hafen und der Militärstützpunkte finanziert sie ihren Staatshaushalt (und vermultlich auch sich selbst). Das macht das kleine Land zum teuren Hotspot. Für die Gutverdiendenden kein Problem, für die Militärs (ca 5% der Bevölkerung) auch nicht. Für die Chinesen, die grad einen neuen Hafen bauen, die neue Bahnlinie nach Addis Abeba gebaut haben und wohl noch so einiges bauen werden (Entsalzungsanlagen, Energieversorgung, vielleicht, hoffentlich, auch mal eine Kehrichtverbrennungsanlage), auch nicht, sie leben schmal und essen sowiso nur Lebensmittel das sie aus ihrer Heimat heranschaffen.

Kostin Tschernobyl

Tschernobyl Super-GAU

26. April 1986, 01:24 Uhr – Super-GAU in Block 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Eine Explosion liess den Reaktor und das Gebäude bersten. Radioaktives Material flog buchstäblich in die Luft.

Mein letzter Bericht aus Tschernobyl ist dem Fotografen Igor Kostin gewidmet. Er schoss das erste Bild vom havarierten Reaktor in Block 4 des AKW. Kostin wurde am 26. April 1986 beim Mittagessen in Kiew von einem befreundeten Helikopterpiloten kontaktiert mit der Nachricht, dass in Tschernobyl ein grösserer Unfall passiert sein soll. Offizielle Nachrichten vom Unfall gab es zu diesem Zeitpunkt und noch tagelang nicht. Kostin flog mit dem Piloten zum AKW und schoss aus der Luft die ersten Bilder- ohne Genehmigung. Er erzählte nachher, dass beide Kameras nach einer Serie von Bildern ihren Dienst versagten. Ebenso seien alle Filme durch die Strahlung überbelichtet worden und die Abzüge waren darum schwarz bis auf ein einziges Bild (siehe rechts). Er sandteKostin Tschernobyl das Bild seiner Agentur Novosti, die es aber auf Weisung von oben 5 Tage nicht veröffentlichte, mit der Begründung, es sei illegal aufgenommen worden.
Kostin und der Pilot blieben von der Strahlung mehr oder weniger unversehrt. Er starb mit 76 Jahren 2015 bei einem Autounfall in Kiew.

Das Bild zeigt das zerstörte Reaktorgebäude. Man sieht das offene Dach und das in die Luft gesprengte Material rund um das Gebäude. Wie später ermittelt wurde, war es eine Explosion infolge Überdruck und keine Explosion aufgrund einer unkontrollierten Kettenreaktion wie bei einer Atombombe. Da wäre der Schaden wile grösser und vom AKW nichts mehr übrig gewesen. Die Explosion wurde durch eine Fehlmanipulation des Personals herbeigeführt, begünstigt durch die Konstruktionsart des Reaktors (Siedewasser-Druckröhrenreaktor RBMK-1000).
Der Beton, der Graphit im Reaktor, Stahlteile und sonstiges Zeugs wurden in die Luft geschleudert und teilweise pulverisiert. Der Staub wurde vom Wind in 1500 Meter Höhe bis über Weissrussland nach Skandinavien und später nach Mitteleuropa getragen. Die grösseren Brocken fiel rund um das Gelände herunter, sie wurden in den ersten Tagen durch die Feuerwehr zusammengeräumt und in das offene Reaktorloch geschmissen. Dabei verstrahlten sich 28 Feuerwehrleute, die innert weniger Tage starben. Weitere Todesopfer aufgrund der Verstrahlung gab es nicht, obwohl total bis 500’000 Arbeiter, sog. «Liquidatoren», in den Jahren nach dem Desaster das Gelände weiträumig (in der 30km-Zone) von Fallout befreiten. Über die Spätopfer der Verstrahlung weiss man nicht viel, bzw., wurde nie etwas Offizielles bekannt. Inoffizielle Schätzungen gehen von 3’000 Betroffenen aus.

 

Tschernobyl Valentina's Wodka

Tschernobyl Stadt

Rund 30 ehemalige Bewohnende von Tschernobyl sind nach der Evakuation der Stadt wieder zurückgekommen. Es sind Bewohner wie Valentina, die sich an dem für sie zugewiesenen Ort nie wohlfühlten und wieder zurückgingen. Illegal, denn das Wohnen in Tschernobyl ist verboten. Doch sie liessen sich nicht mehr vertreiben und erreichte, dass sie jetzt doch da bleiben dürfen, wo sie ein Leben lang gewohnt haben.

Tschernobyl – hier sind wir zu Besuch bei Valentina und Dana. Die 79-jährige Valentina ist in Tschernobyl geboren und hat bis zur Evakuation im April 1986 hier gewohnt. Nach dem Unfall wurden alle Einwohnenden in Camps, dann in neu erstellten Wohnsilos im Oblast Kiew (Kanton Kiew) neu angesiedelt. Valentina und ihr Mann sowie Kinder mussten aus ihrem Häuschen in ein «Appartement» in einer total fremden Gegend umziehen. Die meisten der Evakuierten akzeptierten ihre neuen Wohnverhältnisse, Valentina und mit ihr rund 30 TschernobylerInnen litten darunter und zogen nach einigen Jahren in ihre Stadt zurück. Man versuchte, die «renitenten» Zurückkehrer wieder zu vertreiben, setzte sich aber nicht durch. 2006 legalisierten die Behörden den Zustand, womit Valentina, deren Mann vor zehn Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, mit ihrer tanzenden Hündin Dana nun ohne Angst vor der Wiedervertreibung ihren Lebensabend in ihrer Geburtsstadt verbringen kann.
Einfach ist das Leben in der gesperrten Stadt nicht. Es leben noch rund 700 Menschen in Tschernobyl, wo einst 14’000 Menschen wohnten. Sie gehören dem Militär an, der Miliz (Polizei), den Kontroll- und Sicherheitsdiensten und stellen Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie die Entsorgung sicher. Sie sind alle bei der Kraftwerksgesellschaft angestellt und werden alle 15 Tage abgelöst. Valentina lebt von 150 €Staatsrente pro Monat, zahlt keine Steuern und keinen Zins für das Haus. Sie versorgt sich weitestgehend selbst aus ihrem Garten. Wenn sie einkaufen gehen muss, muss sie sich einen Transport nach Kiew organisieren oder Nachbarn beauftragen. Die medizinische Versorgung ist sichergestellt und erst noch gratis. Die Daten über ihren Gesundheitszustand dienen wissenschaftlichen Zwecken.
Nach unserem Besuch wissen wir, warum die fast Achzigjährige kerngesund und keine Schäden vom Unfall davongetragen zu haben scheint: Wodka, selbstgebrannt.

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Tschernobyl Valentina's Wodka

Tschernobyl Hunde

Tschernobyl’s Hunde

Kurz nach der Evakuation der Dörfer und Städte in der Exclusion Zone wurde alle dort lebenden Haustiere getötet. Die Kühe und Schafe der Kolchosen, die Katzen und Hunde der Familien – erschossen und begraben. Heute gibt es wieder Hunde in Tschernobyl, es sind keine streunenden Hunde, sondern sie dienen wissenschaftlichen Zwecken.

Von manchen Tierschützern oder Hundehassern, ob sie je in Tschernobyl waren oder nicht, werden die Hunde herumlungernden Hunde als streunende Nachkommen der vor 32 Jahren zurückgelassenen Haushunde bezeichnet. Mit solchen Behauptungen lässt sich natürlich auch Geld scheffeln: Man lanciert in Europa eine Hilfsaktion für die «verlassenen», armen und kranken, grässlich strahlenden Tschernobyl-Hunde. Man wolle sie einsammeln, kastrieren, impfen und hochpäppeln. Der Aufruf verfängt und die TierliliebhaberInnen schieben artig Geld rüber.
Nur, es gibt nichts einzusammeln in Tschernobyl. Es gibt tatsächlich zahlreiche Hunde im Städtchen. Aber wo Menschen leben, gibt es immer auch Haustiere. In Tschernobyl leben und arbeiten ein paar hundert Menschen und die haben u.a. auch Hunde. Sie sind nicht angeleint und lungern halt herum. Sie leben nicht gefährlich weil es keinen grossen Verkehr auf den Strassen gibt. Sie sind alle wohlgenährt, gechippt (sichtbar an der Ohrplaquette), kastriert und geimpft. Sie sind vollkommen zahm und strahlen nicht mehr als jeder Mensch, der sich in Tschernobyl aufhält. Auch nützen sie der Wissenschaft als Versuchskaninchen, bzw. -hunde. Als das Gebiet in der 30km-Zone um das Kraftwerk ab dem 27. April 1986 evakuiert wurde, wurden alle Haustiere getötet, auch das Vieh der Bauern. Somit dürfte es nicht allzuviel bis keine Nachkommen der damaligen Hunde geben. Leider aber scheinen die Hunde ein aktives Nachtleben zu pflegen. Oder sie kommen ihren Pflichten als Schutzhunde nach. Jedenfalls ist es schwierig, im Hotel bei offenem Fenster zu schlafen.
Tschernobyl Hunde

Tschernobyl Block 5

Chornobyl, AKW Teil 3

«Tschernobyl» war zur Zeit des Reaktorunfalls in Block 4 noch nicht fertig gebaut. Geplant waren 6 Reaktorblöcke (andere Quellen sprechen von 10 Reaktoren), womit Tschernobyl zum grössten Kraftwerk der Sowjetunion werden sollte.

AKW Tschernobyl – Block 5, angeblich zu 85% erstellt. Die Baurbeiten wurden nach dem Unfall eingestellt. Erst mal, weil die Strahlung in den ersten Wochen viel zu hoch war um sich hier aufzuhalten. Dann aber wurde der Bau gestoppt, weil hier ein Reaktor des gleichen Typs wie in den Blöcken 1 bis 4 eingebaut werden sollte. Dieser Reaktortyp (Siedewasser-Druckröhren-Reaktor) hat neben gewissen Vorteilen (u.a. dass man damit auf einfache Weise waffenfähiges Plutonium anreichern hätte können) den offensichtlichen Nachteil, dass er bei fehlerhafter Bedienung beim Herunterfahren in die Luft fliegt (was nicht erst hätte bewiesen werden müssen). Er hat zudem kein Containment, was die Explosion zwar nicht verhindert hätte aber zumindest wäre (vermutlich) der Inhalt nicht nach aussen gedrungen.
In der Bildmitte ist das Reaktorgebäude, rechts davon die Maschinenhalle. Vorne sieht man das vorbereitete Fundament von Block 6. Dieser Teil des AKW steht etwa 500m entfernt von den Blöcken 1 bis 4 und hätte 1987 und 1990 in Betrieb gehen sollen. Weil auch hier alles leicht erhöht strahlt, kann die Ruine nicht einfach zerlegt und der Stahl wiederverwertet werden. Deshalb geschieht hier erst mal nichts und das seit 32 Jahren.
Das zweite Bild zeigt den fast fertigen Kühlturm von Block 5. Die Blöcke 1 bis 4 wurden mit dem Wasser aus dem künstlichen See, der von mehreren Flüssen der Umgebung gespeist wurde, gekühlt. Für die Blöcke 5 und 6 waren Kühltürme vorgesehen, weil das Wasser des Sees für die Kühlung nicht mehr gereicht hätte und zu warm geworden wäre.
Tschernobyl Block 5 Kühlturm Tschernobyl

Tschernobyl AKW

Chornobyl, AKW Teil 2

Die Justiz reagierte nach dem Unfall in Tschernobyl schnell. Die Schuldigen waren bald eruiert: Der Direktor und führende Ingenieure mussten das Desaster auf sich nehmen.

Der russische Ingenieur Viktor Bryukhanov war von 1979 bis 1986 Chef der Kernkraftwerkanlage, also von der Inbetriebnahme bis zum Unfall in Block 4. Sein Büro befand sich im Gebäude der Kraftwerksadministration auf dem Gelände der Anlage (im Bild rechts). Bryukhanov wurde in der Nacht der Explosion in seinem Prypjater Wohnhaus ziemlich schnell geweckt und er stand schon eine Stunde nach dem Unfall im Kommandoraum des Blocks 4. Wie viele andere dort sich Aufhaltenden wurde er zünftig verstrahlt, man spricht von einer 250-fachen Jahresdosis, was nicht unbedingt den sofortigen Tod bedeutet, aber ziemlich sicher Langzeitschäden (was dann auch zutraf für Bryukhanov).
Schon 1987, also nur ein Jahr nach dem Unfall, wurden Bryukhanov und fünf weitere führende Manager als die Schuldigen am Unfall zu Gefängnisstrafen verurteilt. Der Chef erhielt 10 Jahre, wovon er wegen seines sich verschlechternden Gesundheitszustands nur 5 Jahren absass. 2011 war der ehemalige Tschernobyl-Direktor 75, ob er heute noch lebt habe ich nicht herausgefunden.
Auf dem Bild sieht man im Hintergrund den 2017 gebauten Sarkophag über dem Block 4, davor die lange Maschinenhalle, die die Blöcke 1 bis 4 verband. Am Bürogebäude rechts hängt ein Kunstwerk, das einen Vogel als «friedliches Atom» darstellt . Die Wandskulptur wurde 1986 kurz vor dem Unfall montiert. Der Künstler erhielt sein Honorar leider nie, weil seine Rechnung im Chaos nach dem GAU wohl irgendwie verlorenging.
Tschernobyl AKW

AKW Tschernobyl

Chornobyl, AKW Teil 1

Das AKW Tschernobyl befindet sich heute im Rückbau. Der havarierte Block 4 wurde 2017 mit einem sogenannten Sarkophag überdeckt und komplett stillgelegt. Derweil haben die Vorbereitungen für den Rückbau der Blöcke 1 bis 3 längst begonnen.

Ein Bild das es nicht geben dürfte. Es ist ist nicht erlaubt, das AKW aus einer anderen als der von den Behörden vorgegebenen Perspektive zu fotografieren, deshalb habe ich dieses Pic aus dem fahrenden Bus gemacht. Man sieht hier die ganze Kraftwerksanlage mit den Blöcken 1 (rechts) bis 4. Auf Block 4 sieht man den Sarkophag der im letzten Sommer nach fast zehnjähriger Planungs- und Bauzeit über den havarierten Reaktor, der nach dem Unfall provisorisch mit viel Beton verschlossen wurde, geschoben wurde. Im geborstenen Reaktor brodelt immer noch ein Tel des nuklearen Kernbrennstoffs, von dem man nicht weiss, wieviel noch drin ist. Ein wesentlicher Teil des Brennstoffs sowie grössere Mengen des Graphitmoderators wurden ja in die Luft geschleudert und ist dabei zerbröselt. Der Staub kam dann als Fallout in der Umgebung und im weiteren Verlauf über ganz Mittel- und Nordeuropa wieder runter.AKW Tschernobyl Die Blöcke 1 bis 3, ein jeder mit etwa der gleichen Leistung wie das AKW Gösgen (950 MW) sind nacheinander, der letzte 2000, abgestellt worden und werden nun für den Rückbau vorbereitet. Die Reaktoren befinden sich in den schwarzen Gebäuden hinter der Maschinenhalle, also dem Generatorenraum im Vordergrund. Ganz vorne sieht man das Becken für den Kühlwassereinlauf. Dieses Becken ist Teil eines grösseren künstllichen See-Reservoirs, das seinerseits durch Zuläufe von Flüssen in der Umgebung, darunter der Dnjepr, gespiesen wird.
Die Strahlung in der Umgebung der Anlage ist nicht höher als sonstwo auf der Welt. Das heisst, man kann sich der Anlage gefahrlos nähern, es arbeiten ja noch ca. 3’000 Leute da drin. Die allerdings nach der Schicht aus der 30km-Zone raus müssen und ausserdem nach jeweils 15 Tagen abgelöst werden. Das heisst, wer hier arbeitet, hat stets 15 Tage à 8 Stunden Dienst, dann 15 Tage Ferien. Für diese Leute wurde ab 1986 ca. 200km östlich die neue Stadt Slawutytsch gebaut, wo heute etwa 25’000 Menschen leben.
Tschernobyl Sarkophag36’000 Tonnen Beton und Stahl, 250m Spannweite, 108m hoch, 1,5 Mia € Kosten (die die EU und 40 Staaten bezahlt haben). Das grösste bewegliche Bauwerk der Welt wurde nur 1x bewegt und zwar vom Ort, wo es gebaut wurde, zum Block 4, der havarierte, 300m weiter östlich. Er soll 100 Jahre halten, bei guter Pflege, und allen Unbill vom Reaktor, bzw. das was von ihm noch übrig ist, ab-, bzw. den Unbill, der aus ihm entweichen könnte, drin behalten. Natürlich wird das radioaktive Zeug, das da geschützt wird, noch ein paar hunderttausend Jahre weiterstrahlen, doch erst mal ist Ruh› für 100 Jahre, derweil man sich überlegen kann, wie es danach weitergeht.
Dies ist die Perspektive, von der aus man fotografieren darf. Näher lassen sie uns Touris nicht ran. Unsere Dosimeter registrieren hier keine übermässige Strahlung. Was unsere Gedanken anregt, ist eine andere Sache. Kein Ort, an dem man länger verweilen möchte.

Kopachi Bus

Kopachi

In der Region um Tschernobyl (Oblast Kiev – Kanton Kiew) gab es vor dem GAU auch einige kleinere Dörfer. In der topfebenen Landschaft wurde Landwirtschaft betrieben – nach sowjetischer Art in Kolchosen bzw. Kollektivbetrieben.

Kopachi, Oblast Kiev (51°20’43.4″N 30°06’34.4″E) – hier sind wir auf dem Maschinenhof einer ehemaligen Kolchose (sozialistisches Landwirtschaftskollektiv). Natürlich wurden auch diese Betriebe wie alle Dörfer innerhalb der 30km-Zone im April 1986 geräumt. Von diesem Betrieb stehen heute nur noch die Mauern der Lagerhallen, Garagen und Ställe. Alle Bauten aus Holz wurden niedergerissen und vergraben. Das hat seinen Grund darin, dass Holz wie alle organischen Materialien, auch Erde, die radioaktiven Elemente (hier Cäsium 137) absorbiert. Das heisst, dass ein Getreidefeld (bzw. das Getreide) oder ein Baum noch jahrelang strahlen kann, auch wenn die Strasse daneben es nicht mehr tut, weil sie gereinigt wurde. Auch die Luft ist hier völlig strahlungsfrei. Die Radioaktivität kann sich akkumulieren, wie hier in dieser Milchkanne, in der sich nach dem Unfall viel radioaktiver Fallout angesammelt hatte. Ihr Inhalt strahlt daher mit höherer Energie als die Kanne selbst.
Man nennt diese Orte mit erhöhter Strahlung sinnigerweise «Hot Spots». Unsere Dosimeter beginnen in ihrer Nähe wie verrückt zu piepen und zeigen auf dem Display die Werte an, hier 0.67mSv, was etwa einem Drittel des Wertes entspricht, der man in Mitteleuropa auf natürliche Weise pro Jahr ausgesetzt ist. Das bedeutet noch keine extreme Exposition, es bedeutet einfach, dass wenn man hier drei Stunden neben der Kanne sitzen würde, ebensoviel Radioaktivität aufnehmen würde wie in Degersheim das ganze Jahr, was man, also ich, auch nach 25 Jahren noch überlebt.
Sofort nach dem Unfall wurde der Betrieb in den Kolchosen eingestellt, die Dörfer evakuiert. Die damaligen Getreidefelder und Weiden sind heute natürlich bewaldet. Der Natur hat die Bestrahlung durch den Fallout scheinbar nicht geschadet. Nur wo viel Schutt aus den Helikopterlasten fiel, starb der Wald ab («Red Forest» genannt, weil die Bäume  durch die Strahlung rot wurden). Diese Zone wurde gerodet und neu angepflanzt. Heute steht auch da ein lichter Birkenwald und nichts weist auf irgendwelche Verseuchung hin. Auch die Fauna entwickelt sich in der Zone erfreulich und zudem ungehemmt, weil nicht gejagt werden darf. Es leben hier nebst allerlei Kleingetier und Vögel (u.A. Adler) auch Wölfe und Bären sowie eine Herde wilder Pferde. Natürlich wird die Entwicklung von Flora und Fauna kontinuierlich wissenschaftlich begleitet, wobei man bestimmte nicht überlebensfähige Mutationen festgestellt hat. Es rennen keine dreiäugigen Hasen herum und die Bäume wachsen nach wie vor nach oben und nicht seitwärts.

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