Valletta, die Hauptstadt Maltas, ist im Umbruch. Zumindest der Stadtteil, den jede/r Besuchende, also jede/r Tourist/in (daselbst auch die vielen Arbeitspendler/innen, die jeden Morgen aus den Vorstädten in die Hauptstadt zwecks Ausübung ihres Jobs einschwärmen) zuerst antrifft, das Regierungsviertel. Hier hat der italienische Stararchitek Renzo Piano im Auftrag der Landesregierung ein neues Stadttor und ein Parlamentsgebäude gebaut. Ein modern gestyltes architektonisches Kunstwerk, das, seit es konkrete Formen angenommen hat, die Bevölkerung aufrührt und in zwei Lager teilt.
Mit dem Bau des neuen Parlaments (auf einem vorher nicht wirklich sinnvoll genutzten Grundstück) hat man auch dem im 2. Weltkrieg aus Versehen zerbombten und seither zerbombt dahinvegetierenden «Royal Opera House» ein neues, ebenso streitbares Gesicht gegeben. Gleich hinter der Oper wurde ein Platz restauriert, auf dem seit etlicher Zeit Jean de la Valette (1494 — 1568) in Bronze sich präsentierte, als Erinnerung und Ehrerweisung an den Stadtgründer (der ein Franzose war). Nun, da das ganze Quartier durch die Neubebauung und Restauration ein neues Dispositiv erhalten hat, haben, wie erwartet, die Bevölkerung und die Tourist/innen (auf jede/n Malteser/in kommen vier Tourist/innen pro Jahr) vom Quartier Besitz ergriffen. Ebenso die, die immer da sofort sind, wo täglich viele Leute sind, nämlich die Händler, Verköstiger und Anbieter von allerlei Un– und nützem. Einer dieser Fast-Food-Anbieter hat sein rollendes Burger-Wägelchen etwas gar nahe an den bronzenen de Valette gestellt, was innert Kürze zu heftigen Diskussionen und erbosten Einsprüchen bei der Behörde geführt hat. Respektlos sei das, so der Ton, wenn Jean nun endlich die Aufmerksamkeit erhalten habe, die ihm gebührt, darf man ihn nicht sogleich wieder mit profanen Geschäftsinteressen die Show stehlen. Der Hot-Dog-Kocher jedenfalls musste sein Wägelchen schon bald etwas weiter weg von der Statue platzieren, es konnte aber nicht verhindert werden, dass sich innert weniger Tage weitere Burger-, Cola-, Ballon– und sonstige verzichtbare Produkteanbieter zu den Hot Dogs gesellten. Wenigstens aber wurden sie am Rand es Platzes in gebührendem Abstand von Jean, dem Stadtgründer, verwiesen.
Viel weniger Unmut erzeugte die Aktion eines Kioskbetreibers an einem kleinen Strand im äussersten Nordwesten der Insel. Im Sand von Ghadira hat eifrige Mann zwecks Erstellung eines Fundaments für einen neuen Verpflegungskiosk über Nacht eine Betonplatte in den Sand gegossen. Nun ist er dort nicht der einzige, es gibt schon sieben solche Kleinrestaurants, alle stehen schon seit Jahren da und bieten, mangels richtiger Restaurants, den Badegästen und Flaneur/innen Flüssiges und Festes zur Labung nach oder vor ihren anstrengenden Strandaktivitäten. Nun ist aber dieser kleine Strand schon seit längerer Zeit auf einer Liste mit dem Label «Blue Flag» vermerkt, welche alle schützenswerten Meeresgestade der Insel aufführt. Dies vor dem Hintergrund, dass Strände auf Malta Mangelware sind, es gibt zwar exakt 12 Strände mit richtigem Sand, doch keiner ist mehr als 100 Meter lang, der Rest der ruppigen Küste ist Fels. Auf den Sand dieser Insel muss man die schützende Hand halten, dass hat auch der Staat eingesehen und diese Liste an sich anerkannt.
Weil aber auch auf Malta die Mühlen langsam mahlen, soll die Schutzverordnung dazu erst in den nächsten Monaten erlassen werden. Der Kioskbauer aber hat schneller gehandelt und noch rechtzeitig den Betontruck kommen lassen. Und das vollkommen legal, denn er hat dazu auf seltsame Weise eine Baubewilligung im Schnellverfahren bekommen. «Development Notification Order» nennt sich diese Bewilligung, die üblicherweise für die Restauration von untergeordneten Bauobjekten wie Balkone o.ä. vergeben wird. Alles legal, sagt die staatliche Planungsbehörde Mepa («Malta Environnement & Planning Authority») und nimmt den Wind aus den Segeln des Miniaufstands. Denn auf das Problem aufmerksam machen tun derzeit nur ein paar engagierte Umweltschützer und das Tages-Printmedium «Times of Malta». Im Volk angekommen ist die luschere Aktion der Mepa (noch) nicht.
Das dritte Problem zu diesem Thema ist noch nicht ausgestanden. Es handelt sich um die Verschiebung des Strassenmarktes «Monti», der seinen Standort seit Jahrzehnten in der Merchant Street (wie passend!) in der Fussgängerzone von Valletta hat. Es gibt Absichten an höchster Stelle, den «Monti» aus der in der Tat äusserst betriebsamen Strasse zu entfernen, u.a. auch, um die Rückseite des Präsidentenpalasts in einem besseren Licht stehen zu sehen — sollte dessen Fassade dereinst mal fertig restauriert sein. Da passt dann so ein Strassenmarkt mit seinen abgehalfterten Marktständen und dem bizarren Warenangebot (von Büstenhalter, Sonnenbrillen, Billigjeans, Unechtlederhandtaschen etc.) nicht mehr hin, sagt die Behörde, die das Sagen hat in dieser Sache.
Die Behörde hat auch schon einen neuen Standort gefunden, und zwar in der Ordnance Street, einer Sackgasse vis à vis des vor seiner Vollendung stehenden Piano-Parlaments. «Eine Frechheit!» sagen Architektur-Fans, «genau der richtige Ort um Leben ins Quartier zu bringen», sagen die Befürworter, die endlich ohne Körperkontakt durch die Merchant Street flanieren wollen. Die Dritten, die sich einmischen in den Streit, sind die, die den Monti an sich überflüssig finden: «Nicht von dem was da verkauft wird, wird in Malta produziert oder gebraucht, und es ist alles auch in den Läden Valettas zu haben!»
Dass die Behörde auch gleich einen Prototyp für einen neuen, uniformen Marktstand vorgestellt hat, hat den Zorn vieler Vallettianer/innen dermassen erregt, dass sie in den sozialen Medien eine Petition gegen das Vorhaben lanciert haben. Das Thema beschäftigt auch die sehr aufmerksame Tagespresse des Landes, und zwar nicht im Lokalteil, sondern prominent unter «National» (wo u.a. z.Z. auch die Tatsache abgehandelt wird, dass ein ehemaliger Minister eine halbe Million € auf einem Genfer Konto einer bekannten englischen Bank gehortet hat (die er auch im Land hätte horten können, da diese Bank auch in Malta präsent ist)). Sozusagen als Kollateralschaden kommt mit dem Aufstand gegen die neuen Marktstände und deren neuer Standort auch die Missbilligung der Gestaltung des neuen Parlaments so richtig hoch. In den online-Kommentaren wird der 200-Mio-€-Wurf des italienischen Stararchitekten schon mal «cheese grater» (Käseraffel) genannt.
Respektlos: Jean de la Valette und sein Burger-Kiosk (Bild: Times of Malta)
Nachtrag: Am Tag nach der Niederschrift dieses Blogs sind alle Imbissstände von der «Pjazza de Valette» verschwunden. Gemäss eines Berichts in der «Times of Malta» habe der nationale Kulturminister himself diese Wegweisung befohlen. Angeblich hätten die Kioskbetreiber für die Zeit der Fasnacht eine Bewilligung von der Stadtbehörde gehabt. Die Fasnacht ist nun vorbei und Monsieur de la Valette hat seine Ruhe. Bzw. kann sich nun ohne unpässlichen Hintergrund von und mit Touristen/innen fotografieren lassen.