PODGORICA 30/05/17. «Meine Damen und Herren, wie sie sehen haben wir nicht landen können. In Kürze wird der Flugkapitän sie informieren.» Sagt die Flight Attendant bemüht unaufgeregt im sympatischen Wiener Hochdeutsch (und dann auch noch auf Englisch). Als die Maschine wieder etwas Höhe gewonnen hat, meldet sich der Chef: «Liebe Flugpassagiere, wir mussten den Landeanflug abbrechen, es hat etwas zuviel Rückenwind gehabt. Wir werden es noch einmal versuchen und in etwa sechs Minuten sicher landen.» Auch der Kapitän spricht ruhig, vielleicht etwas auffällig ruhig. Dabei sind die da vorne bestimmt am Schwitzen. Vielleicht steht irgendeiner auf der Piste herum, ein Flugzeug vielleicht (es wäre nicht das erste Mal, ich habe das schon mal erlebt, in Tripolis/Libyien, und auch da war ein Flieger der Austrian beteiligt), ein Bauer auf dem Weg zu seinem Acker (der Flughafen von Podgorica ist von Äckern umgeben), ein Schwarm Vögel oder sonst was. Aber Rückenwind? Von Wind ist nichts zu sehen, zu spüren auch nicht (wie auch, in einer Flugzeugkabine), und es hat keine Bäume weit und breit, die sich im Sturm krümmen.
Man denkt vieles wenn man in einem Flieger sitzt, der gerade durchstartet. Einen «go around» macht, heisst es im Jargon, wenn der Pilot 30 Meter (es heisst natürlich 100 Fuss in der Fliegersprache) über der Piste den Sidestick (Steuerknüppel) nach hinten (also zu sich) zieht und der Gashebel von der Automatik gesteuert (Autothrottle) nach vorne geht (Vollgas gibt). Es drückt einen ganz schön in die Sitzpolster (wobei der Begriff «Polster» bei der neuen Bestuhlung der AUA (und der Swiss) eigentlich eine Farce ist) und der Magen vereinigt sich mit dem Gedärme. Heftiger wie beim Start und frappanter, unerwartet halt. Wer rechnet schon damit, dass man schon wieder umdreht, bevor man überhaupt angekommen ist. Man sitzt da, sieht nicht nach vorne und weiss nicht, wie einem geschieht. Man lässt es über sich ergehen, die Abgebrühten, oder man stirbt schier vor Angst, die Weicheier. Jedenfalls wird es in der Kabine hörbar ruhiger. Der eine oder andere verhaltene Aufschrei, aber dann röhren nur noch die Turbinen.
Rückenwind. Eigentlich bringt er einen ja nach vorne, erleichtert das Vorwärtskommen. Sportler lieben Rückenwind (Leichtathleten nicht, weil allfällige Weltrekorde nicht anerkannt werden), Simon Ammann sowiso, dann hat er wenigstens eine Ausrede (was bei ihm ganz normal ist). Aber Piloten lieben Rückenwind nicht, er verlängert die Bremsdistanz und der Landevorgang zieht sich stark in die Länge, sagt mein Schriftstellerfreund Werner Alex Walser. Und er muss es wissen, er war Linienpilot und Kampfflieger, bevor er sich der Schriftstellerei hingegeben hat. Werner spricht vom Limit, das bei 10 Knoten liegt, «ohne Toleranz». Also gibt es nur eins wenn der Wind von hinten mit mehr als 18 km/h bläst: Go around und gib Guzzi! Nehmen wir also an, dass das der Grund war für das Manöver unserer A319 der Austrian Airlines über dem Podgoricer Flughafen.
Doch auch der zweite Versuch scheitert. Und wieder meldet sich der Kapitän: «Der Wind bläst heute etwas stark aus Süden, wir versuchen es nun aus dem Norden.» Na toll. Die Maschine steigt, dreht und macht eine «8» im Himmel über der montengerinischen Hauptstadt. Doch wer auch immer diese Kiste fliegt da vorne, er versucht es wieder von Süden. Exakt der selbe Anflug (wobei die Steuerbordsitzenden (also die F-Fensterplätze) zum zweiten Mal in den Genuss der näheren Betrachtung der Sümpfe am Nordufer des Shkodrasees kommen), exakt das selbe Manöver – und exakt der selbe Manöverabbruch. Wieder zuviel Wind? Der Kapitän sagt nichts mehr. Hinter mir fragt einer seinen Sitznachbarn, was man, also der Pilot, tun würde, wenn er nicht landen könnte. «Dann fliegt er nach Sarajevo» meint dieser, worauf der Erstere, etwas verwundert: «Nicht nach Tivat?» Tivat hat der Besserwisser wohl nicht beachtet und darum schweigt er jetzt. Tivat wäre näher und naheliegender weil im gleichen Land. Ich denke: In Sarajevo war ich schon mal, letztes Jahr, darum lieber Tivat (an der Adriaküste), die müssten uns dann mit Bussen nach Podgorica bringen, könnte spät werden. Vielleicht würde ich dann meine Zimmerbuchung in der Hauptstadt verschieben und eine Nacht in Tivat bleiben. Ja warum nicht.
Die beiden Gesellen da zuvorderst im Cockpit probieren es eine drittes Mal. Nochmals von Süden. Aber diesmal brechen sie früher ab und ziehen die Maschine während des Steigflugs zünftig nach rechts und dann gleich wieder nach links. Wir steigen nicht mehr so stark wie vorher. Mir scheint, die wollen die Kiste auf dem freien Acker landen. Einen fast vollen Airbus! Auf einem Acker. Es würde viel staubtrockene und mit Pestiziden gedüngte Ackererde aufgewirbelt und wahrscheinlich würde es dem Jet die Fahrwerke wegreissen. Die Spitze der Maschine würde sich in den Boden bohren und die beiden Gesellen da vorne würden als Erste sterben und die auf den hintersten Sitzen würden wahrscheinlich überleben. Ich sitze auf 6A. Wir kämen posthum in den Nachrichten. Meine Kamera ist im Gepäckfach über 6D.
Während wir gefühlte dreissig Meter über dem Boden (gemäss der Aufzeichnungen der flightradar24.com waren es 900 Fuss/275 Meter) eine Haarnadel drehen, versuche ich üble Gedanken zu verjagen und schaue mir die Produkte der lokalen Bauern unter mir an. Was wird in Montengro angebaut und hat grüne Blätter? Salate? Kohlköpfe? Peperoni? «Könnte sein, dass der Captain in Ausbildung war und der Instruktor ihn absichtlich so machen liess», meint Werner (Fliegername Alex) später, als ich ihn aus dem Hotelzimmer mailisch nach den eventuellen Gründen für diese Manöver fragte. «Drei Anläufe ist schon etwas viel und ängstigt die PAX. Das ist mir so noch nie passiert.» (PAX = Passagiere) Na toll! Einem versierten Flieger ist das noch nie passiert! Mir aber schon! Ich habs überlebt! Voll krass!
Der letzte aller Versuche gelingt. Die linke Flügelspitze kratzt beim Wendemanöver die Mutter Erde nicht und der Jet legt sich wieder so, wie er sich legen muss, wenn er eine anständige Landung hinlegen soll. Der Pilot oder wer auch immer da vorne das Sagen hat, scheint sich jetzt endlich für den Nordandflug entschieden zu haben. Warum nicht von Anfang an, wir kommen ja aus dem Norden und er muss gewusst haben, dass der Wind aus Süden bläst. Seltsames Gebaren. Hat die Crew da vorne im Cockpit mit unseren Nerven, noch schlimmer: mit unseren Leben gespielt? Mit uns kann mans ja machen. Als wären wir alle Österreicher (ich bin nur ein halber).
Fahrwerk raus, absinken auf Null, meine Sitznachbarin fragt: «Sehen sie die Piste?», ich sage: «No, not yet!» und da wird die Nachbarin noch etwas bleicher. Natürlich sehe ich die Piste, ich grinse galgenhumorig in mich hinein und da fühlen wir sie alle – die Piste! Der harte Asphalt! Fühlt sich gut an! Es wird heftig geklatscht in der Kabine und nun auch wieder geredet, es werden wie üblich die Handys wieder angemacht und wir steigen alle mit absolut vollcoolem Gesichtsausdruck die Gangway hinunter. Als wär› nichts geschehen.
Kein Seich imfall, bitte überprüfen: https://www.flightradar24.com/data/flights/os727#d8f9c60
Die Windgeschwindigkeit betrug um 14h tatsächlich 10 Kn/h aus SSO: http://de.weather-forecast.com
Drei Mal die 8 – und dann voll runterstechen. Flug OS 727 im Ausbildungsmodus