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Hotel Contnental Tanger

Bogart’s Schemel

Doch der Ruf der relativen Freizügigkeit und Nonchalence wirkte nach. In den 60er- und 70er-Jahren erlebte Tanger eine zweite literarische Blüte als Mekka von Schriftstellern der neu entstandenen Popliteratur. Paul Bowles, Jane Bowles, Tennessee Williams, Jack Kerouac, Muhammad Asad, Truman Capote und William S. Burroughs sind die bekanntesten unter denen, die Tanger als neuen Lebens- und Wirkensort gewählt hatten.

Woolworth-Erbin Barbara Hutton, eine der reichsten und unglücklichsten Frauen der Welt, feierte in ihrem Palais «Sidi Hosni» am «Place Petit Socco» in der Medina glamouröse Feste. Truman Capote nannte Tanger «Die Stadt der Lumpen». Er war wie Tennessee Williams und William S. Burroughs, so sagt man, selten unbekifft anzutreffen. Burroughs «Naked Lunch», ein Klassiker der modernen amerikanischen Literaturgeschichte und Kultbuch der Hippie-Bewegung aus dem Jahr 1959, wurde hier geschrieben. Auch das reale Vorbild für den fiktiven Handlungsort in Burroughs Kurzgeschichtensammlung «Interzone» war Tanger. Zu den bekanntesten Werken aus Tanger gehört auch die Autobiografie «Das nackte Brot» von Marokkos bekanntestem Schriftsteller Mohamed Choukri. Bei der Übersetzung dieses Klassikers ins Englische stand Paul Bowles Pate, der 1949 seinen Marokko-Roman «Himmel über der Wüste» (orig. «The Sheltering Sky», 1990 verfilmt von Bernardo Bertolucci mit John Malkovich und Debra Winger) hier schreib und 1999 hier starb.

Hotel Contnental Tanger

Hotel Contnental Tanger

Und dann kommt einer her wie ich, ein ganz kleiner, und schreibt ein Tagebuch seiner Erlebnisse in Tanger. Ich erstarre in Ehrfurcht vor meiner bekifften Vorgängerschaft und werde wohl morgen unwiderruflich diesen Ort der Sünde und des Lasters verlassen. Auch ohne mir das «Hotel Minzah», dessen Bar in «Casablanca» als Vorlage für Ricks «Café Américaine» gedient hatte, angeschaut zu haben. Aus dem schon einst recht pompösen Palast auf einem Hügel über der Küste ist eine 5*-Nächtigungsstätte geworden. «Casablanca» (erschienen 1942) war ohnehin ein Fake. Keine einzige Minute wurde in Marokko, in Casablanca oder in diesem Hotel El Minzah in Tanger gedreht. Ricks Café stand im Studio der Warner Bros. in Kalifornien und Humphrey Bogart die meiste Zeit auf einem Schemel.

(Aus: «Tre Vulcani», 2015)

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Der abendliche Hafen von Tanger

Tanger

Nun also Tanger. Oder Tangiers. Oder Tangere. Oder wie auch immer. Gemäss Legende ist Tanger von Antaios, dem Sohn von Poseidon und Gaia, gegründet worden. In der Realität waren es aber die Karthager im 5. Jahrhundert v. Chr., die Tanger als Tingis gebaut haben. Wie so manche Siedlung im mediterranen Raum kannte der Ort im Laufe der Jahrhunderte mehrere Herrscher. Erst kamen die Römer und nannten es Mauretania Tingitana, dann im Jahre 702 die Araber, dann hielten 1471 die Portugiesen Einzug, 1580 die Spanier, 1661 die Briten, 1684 die marokkanischen Alawiden. 1912 verlor Marokko seine Unabhängigkeit an Frankreich und Spanien, wobei Spanien den wesentlich kleineren Teil im Norden erhielt und diesen gleich militärisch besetzte. Frankreich hielt sich vornehm zurück und schloss mit dem Sultan von Marokko einen Vertrag, der Marokko zum Protektorat machte. Der Status von Tanger aber blieb vorläufig ungeklärt. Erst 1923 wurde eine Lösung gefunden, indem die Stadt zur Internationalen Zone erklärt wurde. Für Tanger bedeutete dies eine Stadtverwaltung unter den Generalkonsuln von acht europäischen Staaten, ausserdem die Zollfreiheit gegenüber Europa. Tanger wurde zur Freihandelszone, damit auch ein Eldorado für Schmuggler und Anziehungspunkt für Sinnsucher, Reiche, Schwule, Exzentriker, Aussteiger und Aussenseiter jeglicher Herkunft und Einteilung, auch für eine ganze Reihe Schriftsteller aus Europa und den USA. Hier fanden sich Spione jeglicher Couleur ein, Kriminelle, denen in ihren Heimatländern Gefängnis drohte, verfolgte Juden, Franco-Gegner aus Spanien, später Beatniks und Hipster aus San Francisco und eben auch viele Intellektuelle aus Europa.


1942 hatte Tanger 13 Moscheen, 15 Synagogen, sechs katholische und drei protestantische Kirchen. Es gab ein Dutzend europäische und fünfzehn muslimische Bordelle mit zusammen mehr als 300 Prostituierten. Homosexualität war geduldet und einige Knabenbordelle machten Tanger zu einem der beliebtesten Reiseziele für global denkende Pädophile. Die Stadt war (und ist es immer noch) berüchtigt wegen der Unmengen von Haschisch, die in den Gassen der Medina feilgeboten wurden. Es gab weder Einkommens- noch Vermögenssteuern, dafür 81 Banken und 5‘000 Briefkastenfirmen. Dieser Zustand blieb, mit Ausnahme der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als Tanger unter alleiniger spanischer Verwaltung stand, bis zum 29. Oktober 1956. In diesem Jahr hatte Marokko seine Unabhängigkeit erhalten und erhielt mit diesem Schritt auch die Stadt Tanger mit 150‘000 Einwohnenden, davon zwei Fünftel Europäer, zurück. Damit war dann mit gewissen Freizügigkeiten, was Freihandel, Steuern, Nacht- und Untergrundleben betraf, Schluss.

(Aus: «Tre Vulcani», 2015)

Und jetzt bin ich also wieder da. Mal sehen, was sich getan hat in letzter Zeit.

Der abendliche Hafen von Tanger

Der abendliche Hafen von Tanger

Gutes Wasser

Der Strand von Dobra Voda Ende Mai 17 (Bild: Michael Hug)

Der Ort heisst Dobra Voda – «Gutes Wasser». Solches gibt es im tschechischen Dobrá Voda und im Dobrá Voda in der Slowakei auch. Aber dort gibt es kein Meerwasser. Das gibt es nur im Dobra Voda von Montenegro (Punkt 4 auf der tripline-Karte im nächsten Abschnitt). Ausser Wasser gibt es hier noch eines: Touristen. Aber nur während sechs Wochen im Sommer. Ansonsten herrscht in Dobra Voda gähnende Leere. Auch jetzt anfangs Juni ist nicht viel los hier, und ich kann mir gut vorstellen, wie es im Winter sein muss. Dann ist hier unten an der Küste tote Hose, dass es toter gar nicht geht. Das Leben der Einheimischen spielt sich oben im Dorf ab, etwa 300 Meter oberhalb der Küste an der Durchgangsstrasse von Bar nach Ulcinj. Dort oben ist aber wiederum für Touristen nichts los. Ein paar Nachtbuden, zwei, drei Restaurants, eine Tankstelle, ein Kleinsupermarkt namens «Market».

Also bleiben die Touristen, die die jetzt schon hier sind, inklusive mir, und wohl auch die im Sommer, hier unten am Strand. Wie das dann aussieht, sieht man am Bild unten. Es gibt ein paar Hotels hier, ein paar Restaurants und eine ganze Menge Appartmenthäuser. Ein schöner Teil der hier Aufgezählten ist jetzt noch leer, es gibt mehr geschlossene Läden als offene, und zum Essen hat man in den 3 Qualitätslevels sehr gut, gut, schlecht, exakt 3 Möglichkeiten. Im Winter wird hier wohl alles geschlossen sein. Und vielleicht herrscht hier dann Stille. Die herrscht zurzeit ganz und gar nicht. Obwohl, gefühlt, Hotels und Ferienwohnungen vielleicht zu 20 Prozent belegt sind, ist nicht Ruhe. Allerorten wird gewerkelt und gebaut, gebohrt und gefräst. Und es bellen streunende Hunde, mit Vorliebe nachts, wenn sie von den Autos von der Strasse gehupt werden. Erst Hupen, dann Bellen. Da kannstu Gift drauf nehmen.

Und dann die Musik. Den ganzen Tag rieselt Musik über einen. Nicht am Strand, dort kreischen die wenigen Kinder, nein im Hotel. Vorab im Hotelrestaurant, das auch im Aussenbereich beschallt wird, was dann wiederum auf den Terrassen der Zimmer zu hören ist. Wenn einer wie ich, der sich vorwiegend nicht am Strand (und dabei schon gar nicht im Wasser) aufhält, wird er berieselt. Gnadenlos. Da kannstu an einem Tag am Empfang unten vermelden, dass man bitte please doch die Musik etwas leiser drehen könnte, dann tun sie dass. Aber dann hat am nächsten Morgen jemand anders Dienst am Desk, und der/die dreht die Musik wieder auf den am ersten Tag der Existenz dieses Hotels eingestellten, bzw. vom Direktor bestimmten Level.

Und dann der Lift. Ein sprechender Lift, man muss sich das mal vorstellen. Ein Lift, der sich meldet, wenn die Türe schliesst. Das Stockwerk durchgibt, wenn die Türen sich öffnen. Ein Lift für Bline, würde man meinen, doch Tasten für Blinde hat dieser Lift nicht. Also nur ein blödes Feature das dem Konstrukteur in seinem Büro irgendwo in Japan eingefallen ist. Einen Lift sprechen zu lassen, isch doch vollgeil. Vor allen für den Gast, der grad vis à vis des Lifts seine Nachtruhe sucht. Der bis Mitternacht gewartet hat, bis die Musik im Restaurant unter ihm ausgemacht wird und er endlich das Licht löschen und den Fernseher ausmachen kann. Und dann kommt irgend so ein stockbesoffener Gast aus dem Lift und lässt sich von einer künstlichen Stimme vordiktieren, dass der Aufzug jetzt sein gewünschtes Niveau, also das Niveau, auf dem sein Zimmer liegt, erreicht hat: «First floor!»

Toll so ein Hotel. Ein neues übrigens, erst Mitte April eröffnet. Vier Sterne, 75€ die Nacht. Günstig für uns Mitteleuropäer, eher teuer für die Gäste hier, die zum grossen Teil aus Montenegro, Serbien und dem Kosovo kommen. Es wurde «Kalamper» nach seinem Erbauer und Besitzer Emin Kalamperovic genannt. Auch der Strand wurde nach ihm benannt: «Kalamper Beach». Ein grosser Gönner des Orts, dieser Kalaperovic. Ein Bau- und Immobilientycoon, hat hier noch weitere Hotels und ein Resort oben auf dem Hügel über der Küste (auf den Bildern ganz hinten zu sehen). Man sagt, das Resort und wohl auch die meisten Hotels seien illegal gebaut worden. Das geht problemloser bei einem, der der Bruder des ehemaligen Innenministers ist. Mein Kellner sagt, dieser Kalamperovic sei ein guter Mensch, einer der die Küste hier entwickelt und Arbeitsplätze schafft. Und wohl einfach nicht auf jede hinterletzte Baubewilligung warten will. Das sagt der Kellner aber nicht.

Toll so ein Hotel. Ein neues übrigens, erst Mitte April eröffnet. Vier Sterne, 75€ die Nacht. Günstig für uns Mitteleuropäer, eher teuer für die Gäste hier, die zum grossen Teil aus Montenegro, Serbien und dem Kosovo kommen. Es wurde «Kalamper» nach seinem Erbauer und Besitzer Emin Kalamperovic genannt. Auch der Strand wurde nach ihm benannt: «Kalamper Beach». Ein grosser Gönner des Orts, dieser Kalaperovic. Ein Bau- und Immobilientycoon, er hat hier noch weitere Hotels und ein Resort oben auf dem Hügel über der Küste (auf den Bildern ganz hinten zu sehen). Man sagt, das Resort und wohl auch die meisten Hotels seien illegal gebaut worden. Das geht problemloser bei einem, der der Bruder des ehemaligen Innenministers ist. Mein Kellner sagt, dieser Kalamperovic sei ein guter Mensch, einer der die Küste hier entwickelt und Arbeitsplätze schafft. Und wohl einfach nicht auf jede hinterletzte Baubewilligung warten will. Das sagt der Kellner aber nicht.

Der Strand von Dobra Voda im Sommer 15 (Bild: Hotel Kalamper)

Saline Ulcinj

Golf statt Salz in Ulcinj

ULCINJ 04/06/17. Ich habe mir sagen lassen: «Die Salinen von Ulcinj musst du dir ansehen, die wollen da einen Golfplatz bauen.» Die Recherchen im Netz über die Sache mit der Saline liess meinen Atem stocken, also fuhr ich hin, gestern. Die Saline liegt an der Lagune beim Städtchen Ulcinj, dem südlichsten noch besiedelten Ort an der Küste Montenegros. Die Lagune mündet ins Meer, wie das so üblich ist bei Lagunen, daneben beginnt der Strand von Ulcinj, der «grosse», es gibt auch noch einen kleinen, näher bei der Stadt, dazwischen liegt ein felsiger Hügel. Wenn man also an den Strand fährt, bzw. sich fahren lässt, wird der Taxifahrer fragen: «Der grosse oder der kleine?» Er fragt das auf montenegrinisch («velika» und «mala»), weil er keine Englisch kann (man kann ihm deshalb auch nicht den Auftrag «beach» geben, sondern muss «plaža» von sich geben (was auszusprechen ist wie das französische «plage»)).

Man, also ich, sagt also «velika plaža», und der Fahrer bringt mich an die grosse Beach. 10 Kilometer Sand. Ich stelle fest, dass die Beach hier, am dem der Stadt näheren Ende, eigentlich gar nicht öffentlich zugänglich ist. Man muss durch das Gelände des Hotels «Otrant Beach Resort» gehen (dabei stelle ich fest, dass ich es bezgl. meines Hotels noch schlimmer hätte treffen können). Doch es hält mich niemand auf. Gleich daneben befindet sich das Gelände eines «Datschenparks», also ein privates Ressort im Pinienwäldchen mit Ferienhäuschen für Russen und dergl. Die Bungalows sind alle am Zerfallen, der Park von Abfall übersät und von Hunden verschissen. Die einst als Wochenend- oder Ferienresort gebaute Anlage wird heute offensichtlich von motorisierten Badegästen für Picknicks am Strand missbraucht. Das Eingangstor ist sperrangelweit offen (bzw. überhaupt nicht vorhanden), das Wächterhäuschen am Verwesen, das Restaurant ebenso. Hier hat offenbar eine Idee nicht mehr rentiert, den Kriegswirren in den Neunzigern zum Opfer gefallen oder wurde behördlich geschlossen. Es sei scheint vieles hier in Ulcinj (und anderswo an der Küste) illegal gebaut worden, liest man im Netz.

Nun denn. Ich stelle fest, dass ich am falschen Ort aus dem Taxi gestiegen bin. Zur Saline sind es gefühlte 10 Kilometer (gemäss maps 1.5 Kilometer, aber es ist gefühlte 50 Grad heiss, tatsächlich 33). Klar ist jetzt grad kein Taxi da und den Weg dahin kenne ich nicht wirklich. Ich gehe also aufs Geratewohl (was das für Einwirkungen auf meine Füsse hat – ich trage Adiletten – erläutere ich hier nicht näher) in Richtung Osten, wo ich die Saline (bzw. das Lagergebäude für das Salz) dann bald mal sehe. Leider ist die Strasse, die jetzt ein Feldweg ist, hier zu Ende, dabei sehe das Zeil fast in Armlänge vor mir. Ich balanciere (mit meinen Adiletten!) auf der Mauer des Zuleitungskanals die letzten Meter bis ins Gelände der Saline. Vor mir steht eine zerfallende Lagerhalle, daneben ein zerfallendes Verwaltungsbeäude. Dahinter zerfallende Betriebsgebäude, zerfallende Transportfahrzeuge auf zerfallenden Schienen, ein zerfallender Bagger und ein zerfallender Traktor mit Anhänger.

Die Saline ist seit mehr als zehn Jahren nicht mehr in Betrieb. Einst gehörte sie dem Staat (wie alles damals in Jugoslawien) und wurde nach der Wende einem privaten Investor verkauft. Der liess die Saline schliessen und zerfallen, angeblich, weil das Produzieren von Salz nicht mehr rentiert. Ja wozu hat er sie denn gekauft? Um das Gelände in ein Resort für reiche Leute mit grossem Entspannungsbedarf umzuwandeln. Geplant sind eine Marina, ein Golfplatz, Ferienhäuser, Pärke und Freizeitsporteinrichtungen. Und damit die Öffenlichkeit auch noch etwas davon hat, soll ein Teil davon als Vogeslchutzgebiet ausgesondert werden.

Die 15 Quadratkilomter grosse Saline von Ulcinj hatte fast 90 Jahre lang Salz produziert. Die Lagune gleich daneben, aus der die Salzgärten ein- bis zwei Mal jährlich geflutet wurden, war schon von Alters her ein Rastplatz für Zugvögel. Experten sagten, die Saline von Ulcinj sei einer der grössten Erholungsplätze für Zugvögel in Mittelsüdeuropa überhaupt gewesen. Eben – gewesen. Seit die Saline nicht mehr in Betrieb ist, werden die Salzgärten nicht mehr regelmässig geflutet. Das bedeutet, dass die Wasservögel unter den Zugvögeln keine Nahrung mehr finden und wohl irgendwann nicht mehr kommen. Europäische Vogel- und Naturschutzorganisationen kämpfen für eine Naturschutzgebiet und die Flutung der künstlichen Seen. Die Gemeinde kann (oder will) sich nicht festlegen, der Staat tut nichts. Es liegt der Verdacht auf Korruption vor. Auf das Grundstück sind bereits Hypotheken gewährt worden, schreibt die Badische Zeitung. Was ja eigentlich gar nicht geht, solange keine Baubewilligung vorliegt. In Montenegro geht das.

Saline Ulcinj

Die asugetrockneten Salzfelder der ehemaligen Saline von Ulcinj

Montenegro und die NATO

PODGORICA 02/06/17. Nun ist Montenegro also auch in der NATO. Eine wesentliche Verstärkung ist das Land mit seinen rund 6’000 Soldaten (wieviele es wirklich sind, weiss niemand so genau, müsste man wohl den Verteidigungsminister fragen) für das Bündnis wohl nicht. Dafür eine strategische. Das transatlantische Militärbündnis ist nun an der ganzen Adriaküste, links wie rechts, und mit dazu im ganzen europäischen Teil des Mittelmeers (inklusive Türkei) präsent. Wenn man den kritzekleinen Küstenstreifen, der zu Bosnien & Herzegowina gehört (ca. 20 Kilometer zwischen Montenegro und Kroatien), mal übersieht. Dieser kleine Landzipfel wäre, jetzt mal rein theoretisch, der einzige Ort, wo die Roten (so hiess in der schweizerischen Armee (damals, als ich meinen unerheblichen Beitrag zur Landesverteidigung leistete) der Feind («BöFei» – der böse Feind)) an Land oder von diesem gehen könnten, ohne auf NATO-Hoheitsgebiet zu treten und einen Krieg zu provozieren (es wäre dann maximal ein Krieg mit Bosnien&Herzegowina, was niemanden in Europa wurmen würde, die Balkankriege Ende letzten Jh. hat auch niemanden gewurmt).

Der Beitritt Montenegros zur NATO wurde seit 2010 vorgespurt. Zuletzt fehlte das Einverständnis der USA, aber da war über den Jahreswechsel gerade Präsidentenwechsel. Den alten interssierte das Thema nicht mehr, den neuen noch nicht. Im Februar hat der neue jedoch zugestimmt und im April, also vor einem Monat, wurde die Sache im Parlament Montenegros besprochen und beschlossen. Vor 10 Tagen erfolgte der Beitritt formell. Die Bevölkerung wurde nicht gefragt. Wohlwissend, dass die wahrscheinlich dagegen gewesen wäre. Viele MontenegrinerInnen (nach Umfragen ist es die Mehrheit) halten nichts von der NATO. Sie taten es in Demonstrationen auch kund (siehe Bild), wenn auch aus verschiedenen Gründen. Für die Einen ist die NATO ein Bündnis von Weltbeherrschern, von Aggressoren, Mördern sogar. Und die Anderen, die nationalistisch Orientierten, würden lieber mit Serbien, bzw. Russland, zusammenspannen.

Es ist erst 18 Jahre her, da hat die NATO das Land, das sie jetzt unter ihre Fittiche genommen hat, noch bombardiert. Das war im Frühling 1999, Montenegro spannte noch mit Serbien in der «Bundesrepublik Jugoslawien» zusammen, mehr oder weniger widerwillig zwar, denn wenn es nicht hätte, wäre es wohl auch unter die Räder von Slobodan Milošević’s Kriegsmaschine gekommen. Jugoslawiens Armee (die eigentlich eine serbische Armee war) hatte Stützpunkte in Montenegro, von wo aus sie den Krieg in der abtrünnigen Provinz Kosovo befeuerte. Auch der Flughafen von Podgorica war so ein Stützpunkt. Als die NATO am 24. März 1999 in ihrer sog. «Operation Allied Force» begann, strategische Ziele in Kosovo und Serbien zu bombardieren, gerieten auch die Stützpunkte in Montenegro unter Feuer. 1’000 NATO-Kampfflugzeuge (v.a. US-amerikanische) entluden 14’000 Bomben über jugoslawischen Städten und feuerten 2’300 Raketen aus Flugzeugen und von Schiffen vor der Küste Montenegros ab. Einige davon waren für den kleinen Flughafen von Podgorica (bzw. die dortige «geheime» Flugzeugkaverne «Objekat Tuzi») bestimmt, doch ein paar Bomben trafen auch die Stadt selbst.

Die NATO deklarierte ihr Eingreifen auf dem Balkan im Frühling 1999 als humanitäre Aktion, um den Kosovo zu «befreien» (was nach einem Monat auch gelang und das Ende von Milošević’s grosserbischen Träumen einleitete). Natürlich hat Montenegro diese Attacken, die notabene volkerrechtswidrig waren, da die NATO, bzw. kein NATO-Land angegriffen wurde (der Zweck der NATO ist, sich untereinander zu helfen, wenn eines der Mitglieder von einem Nichtmitglied angegriffen wird) und sie die Einwilligung der UNO nicht erhielt (weil Russland und China dagegen waren), nicht vergessen. Doch einig ist sie sich nicht. Die Einen wollen einfach nur Frieden. Die Anderen wollen lieber Putin als Trump. Die mit knapper Mehrheit regierende Demokratische Partei der Sozialisten Montenegros DPS wollte Sicherheit.

Die militärische Flugzeugkaverne beim Flughafen von Podgorica wurde 2006 von einem Weinhändler gekauft und für seine Zwecke repariert und eingerichtet.

Proteste in Montenegro gegen den NATO-Beitritt – schussendlich aber wurde das Volk nicht gefragt

Saborni Hram Hristovog Vaskrsenja

Die Kathedrale

PODGORICA 01/06/17. Viel Historisches gibt es nicht zu sehen in Podgorica. Geschichte hat die Stadt trotzdem. 1326 wurde Podgorica erstmals schriftlich erwähnt. Die Gründungssiedlung gehörte damals zum serbischen Reich. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts herrschten auf dem ganzen Balkan die Osmanen. Ab 1878, mit Beschluss des «Berliner Kongresses», gab es das Fürstentum Montenegro, wobei Podgorica, obwohl zur grössten Stadt und dem grössten Handelsplatz in der Region gewachsen, nicht Hauptstadt wurde (sondern Cetinje). Um 1900 hatte Podgorica 13’000 Einwohnende. 1918 wurde das Fürstentum, inzwischen ein Königreich, dem Königreich Jugoslawien einverleibt. 1946 erhielt die Stadt den Status der Hauptstadt der jugoslawischen Teilrepublik Montenegro und den Namen Titograd (zu Ehren des dannzumal aktuellen jugoslawischen Ministerpräsidenten Josip Broz, genannt Tito) und sein Flughafen erhielt die IATA-Bezeichnung «TGD», die heute noch gilt. Seit dem 2. April 1992 (dem Jahr des Zusammenbruchs Jugoslawiens) heißt die Stadt wieder Podgorica. 2006 wurde Montenegro unabhängig und Podgorica die Hauptstadt des neuen Staates.

Doch nun aber zu einem besonderen Aspekt der jüngeren Geschichte Podgorica’s. Im 2. Weltkrieg wurde die Stadt von den Allierten heftig bombardiert (Montenegro war 1942 ein Protektorat Italien’s, 1943-1944 von Deutschland besetzt), mit dem Resultat, dass sie praktisch vollständig zerstört wurde (im April 1999 wurde Podgorica im Zusammenhang mit dem serbisch-kosovarischen Krieg auch von der NATO bombardiert). Somit gibt es heute in ganz Podgorica kein Gebäude, das älter als 70 Jahre ist. Auch Kirchen und Moscheen wurden von den Luftangriffen betroffen. Erst 1993 machte sich die serbisch-orthodoxe Kirche daran, ein ihrem Status gerecht werdendes Gotteshaus zu bauen (72 Prozent der MontenegrinerInnen sind serbisch-orthodox, bzw. montenegrinisch-orthodox). 10 Jahre dauerte dann der Bau der «Saborni Hram Hristovog Vaskrsenja» (Auferstehungskathedrale) in Podgorica. Nun ist es das grösste Gotteshaus der Stadt und die grösste orthodoxe Kirche des Landes und ein «must-see» für TouristenInnen (für orthodoxe TouristenInnen und PilgerInnen sowiso).

Was lange währt wird endlich gut und die neue Kathedrale macht sich tatsächlich gut. Wenigstens von innen. Von aussen ist sie hässlich und schludderig gebaut. Von innen aber ist sie sehenswert, ein richtiges Goldstück. 6’200 Quadratmeter Wände und Kuppeldecken sind mit Blattgold belegt (und ein schöner Teil davon wurde nach der Vergoldung mit Fresken übermalt). 1’872 Quadratmeter Boden sind mit Mosaiken belegt. Die Hauptkuppel ist 35 Meter hoch und die grösste der 17 Glocken ist 11 Tonnen schwer (im rechten Turm). Die Fresken zeigen wie üblich Szenen der Bibel, Gott und sein Sohn in allen Ausprägungen sowie zahlreiche Heilige und Personen der serbischen und montenegrinischen Geschichte. Dass die orthodoxe Kirche auch das Genre der Satire kennt, beweist ein besonderes Fresko: Es zeigt Karl Marx, Friedrich Engels und Josip Broz Tito in der Hölle.

Saborni Hram Hristovog Vaskrsenja

Auferstehungskathedrale in Podgorica – aussen nix, innen fix

Montenegro

Der €-Klau Montenegros

PODGORICA 31/05/17. Nach dem Irrflug über Podgorica bin ich nun wieder auf dem Boden angekommen und ich stelle fest, dass ich alt werde oder der Routine verfallen bin oder beides. Steh› ich also da vor dem Passkontrolleglashäuschen und habe meinen Reisepass vergessen. Toll, aber: in den wirklich wichtigen Dingen im Leben ist der kluge alte Mann abgesichert und hat darum stets die ID im Portmonnee. Nächstes Problem: Geld. Ich habe voll verschwitzt, mich vorab nach der Währung von Montenegro zu erkundigen. Dafür habe ich jetzt keine schnelle Lösung. Mit den paar €-Münzen im Hosensack werde ich das Taxi in die Stadt nicht bezahlen können. Also ran an die Cash-Maschine. Hats im Flughafen, man muss sie allerdings bitzli suchen. Doch da gibt es ausser Euro nichts zu beziehen. Also beziehe ich Euro. Draussen am Taxistand frage ich den Fahrer vor dem Einsteigen, ob er Euro akzeptiere. Er sagt ja. Auf meine Frage, welche Währung hier üblich sei, sagt er: «Montenegro hat kein eigenes Geld, wir haben Euro.»

Montenegro hat keine eigene Währung. Als Jugoslawien 1992 zerfiel, entschloss sich die montenegrinische Bevölkerung, zusammen mit Serbien als Rumpf-Jugoslawien weiterzumachen. Es behielt damit auch den bis dahin gültigen Dinar als Landeswährung. Doch der Dinar verlor rasant an Wert, worauf man in Montenegro begann, seine Geschäfte in D-Mark abzuwickeln. Damit übernahm der Staat de fakto die deutsche Währung als seine Leitwährung (ab 2000 auch de jure) und alles war ok. Als 2002 in der EU der € eingeführt wurde, hängte sich auch Montenegro an die neue Währung, bzw. musste sich anhängen, ansonsten es den Dinar wieder einführen oder eine eigene Währung hätte schaffen müssen. 2006 wurde Montenegro unabhängig, womit sich das Problem Dinar von selbst löste. Doch das kleine Land (625’000 Einwohnende) zeigte keine Lust, sich eine eigene Währung zuzulegen. Es lief ja gut mit dem Euro (alle anderen Staaten Ex-Jugoslawiens (ausser Kosovo) schufen eigene Währungen, koppelten allerdings diese an den Euro, wie z.B. Bosnien und Herzegowina) – zumindest in Montenegro.

Der EU passte das natürlich nicht. Wenn sich ein EU-Land in die Währungsunion einklinkt, muss es bestimmte Regeln befolgen (Staatsdefizit, Steuern, etc.). Es gibt auch Nicht-EU-Länder (Monaco, Andorra, San Marino, der Vatikan und Kosovo), die den Euro haben, doch diese haben sich den Regeln verpflichtet. Montenegro hat keine diesbezüglichen Verträge mit der EU, aber dem Land den Gebrauch des Euro zu verbieten, will die EU auch nicht, oder kann nicht, weil der € ja nicht die offizielle Landeswährung ist (faktisch ist er es durch das Fehlen ebendieser Landeswährung dennoch). Ausserdem ist Montenegro seit Ende 2010 Beitrittskandidat. Da hat auch die EU eingesehen, dass es keinen Sinn macht, dem Land eine eigene Währung vorzuschreiben, die sie dann bald nach dem Beitritt wieder aufgeben würde.

€-Münzen und -Noten darf Montenegro nicht herstellen und es hat keinen Einfluss auf die Geldmenge (und damit der Inflation). Das ist dem Land und seinen Leuten wohl egal. Sie fühlen sich mit dem Euro der EU einen Schritt näher. Ausserdem erleichtert der Euro ausländische Investitionen und das ganze Geld der Gastarbeiter in der EU kommt auch in € auf die montenegrinischen Konten. Einzig negative Auswirkung ist, v.a. für uns Touristen, dass die Preise vom europäischen Niveau nicht mehr allzu weit entfernt sind.

Montenegro

Montenegro – kleines Land an der Adria

OS 727

Flug OS 727 – Drei Achten über Podgorica

PODGORICA 30/05/17. «Meine Damen und Herren, wie sie sehen haben wir nicht landen können. In Kürze wird der Flugkapitän sie informieren.» Sagt die Flight Attendant bemüht unaufgeregt im sympatischen Wiener Hochdeutsch (und dann auch noch auf Englisch). Als die Maschine wieder etwas Höhe gewonnen hat, meldet sich der Chef: «Liebe Flugpassagiere, wir mussten den Landeanflug abbrechen, es hat etwas zuviel Rückenwind gehabt. Wir werden es noch einmal versuchen und in etwa sechs Minuten sicher landen.» Auch der Kapitän spricht ruhig, vielleicht etwas auffällig ruhig. Dabei sind die da vorne bestimmt am Schwitzen. Vielleicht steht irgendeiner auf der Piste herum, ein Flugzeug vielleicht (es wäre nicht das erste Mal, ich habe das schon mal erlebt, in Tripolis/Libyien, und auch da war ein Flieger der Austrian beteiligt), ein Bauer auf dem Weg zu seinem Acker (der Flughafen von Podgorica ist von Äckern umgeben), ein Schwarm Vögel oder sonst was. Aber Rückenwind? Von Wind ist nichts zu sehen, zu spüren auch nicht (wie auch, in einer Flugzeugkabine), und es hat keine Bäume weit und breit, die sich im Sturm krümmen.

Man denkt vieles wenn man in einem Flieger sitzt, der gerade durchstartet. Einen «go around» macht, heisst es im Jargon, wenn der Pilot 30 Meter (es heisst natürlich 100 Fuss in der Fliegersprache) über der Piste den Sidestick (Steuerknüppel) nach hinten (also zu sich) zieht und der Gashebel von der Automatik gesteuert (Autothrottle) nach vorne geht (Vollgas gibt). Es drückt einen ganz schön in die Sitzpolster (wobei der Begriff «Polster» bei der neuen Bestuhlung der AUA (und der Swiss) eigentlich eine Farce ist) und der Magen vereinigt sich mit dem Gedärme. Heftiger wie beim Start und frappanter, unerwartet halt. Wer rechnet schon damit, dass man schon wieder umdreht, bevor man überhaupt angekommen ist. Man sitzt da, sieht nicht nach vorne und weiss nicht, wie einem geschieht. Man lässt es über sich ergehen, die Abgebrühten, oder man stirbt schier vor Angst, die Weicheier. Jedenfalls wird es in der Kabine hörbar ruhiger. Der eine oder andere verhaltene Aufschrei, aber dann röhren nur noch die Turbinen.

Rückenwind. Eigentlich bringt er einen ja nach vorne, erleichtert das Vorwärtskommen. Sportler lieben Rückenwind (Leichtathleten nicht, weil allfällige Weltrekorde nicht anerkannt werden), Simon Ammann sowiso, dann hat er wenigstens eine Ausrede (was bei ihm ganz normal ist). Aber Piloten lieben Rückenwind nicht, er verlängert die Bremsdistanz und der Landevorgang zieht sich stark in die Länge, sagt mein Schriftstellerfreund Werner Alex Walser. Und er muss es wissen, er war Linienpilot und Kampfflieger, bevor er sich der Schriftstellerei hingegeben hat. Werner spricht vom Limit, das bei 10 Knoten liegt, «ohne Toleranz». Also gibt es nur eins wenn der Wind von hinten mit mehr als 18 km/h bläst: Go around und gib Guzzi! Nehmen wir also an, dass das der Grund war für das Manöver unserer A319 der Austrian Airlines über dem Podgoricer Flughafen.

Doch auch der zweite Versuch scheitert. Und wieder meldet sich der Kapitän: «Der Wind bläst heute etwas stark aus Süden, wir versuchen es nun aus dem Norden.» Na toll. Die Maschine steigt, dreht und macht eine «8» im Himmel über der montengerinischen Hauptstadt. Doch wer auch immer diese Kiste fliegt da vorne, er versucht es wieder von Süden. Exakt der selbe Anflug (wobei die Steuerbordsitzenden (also die F-Fensterplätze) zum zweiten Mal in den Genuss der näheren Betrachtung der Sümpfe am Nordufer des Shkodrasees kommen), exakt das selbe Manöver – und exakt der selbe Manöverabbruch. Wieder zuviel Wind? Der Kapitän sagt nichts mehr. Hinter mir fragt einer seinen Sitznachbarn, was man, also der Pilot, tun würde, wenn er nicht landen könnte. «Dann fliegt er nach Sarajevo» meint dieser, worauf der Erstere, etwas verwundert: «Nicht nach Tivat?» Tivat hat der Besserwisser wohl nicht beachtet und darum schweigt er jetzt. Tivat wäre näher und naheliegender weil im gleichen Land. Ich denke: In Sarajevo war ich schon mal, letztes Jahr, darum lieber Tivat (an der Adriaküste), die müssten uns dann mit Bussen nach Podgorica bringen, könnte spät werden. Vielleicht würde ich dann meine Zimmerbuchung in der Hauptstadt verschieben und eine Nacht in Tivat bleiben. Ja warum nicht.

Die beiden Gesellen da zuvorderst im Cockpit probieren es eine drittes Mal. Nochmals von Süden. Aber diesmal brechen sie früher ab und ziehen die Maschine während des Steigflugs zünftig nach rechts und dann gleich wieder nach links. Wir steigen nicht mehr so stark wie vorher. Mir scheint, die wollen die Kiste auf dem freien Acker landen. Einen fast vollen Airbus! Auf einem Acker. Es würde viel staubtrockene und mit Pestiziden gedüngte Ackererde aufgewirbelt und wahrscheinlich würde es dem Jet die Fahrwerke wegreissen. Die Spitze der Maschine würde sich in den Boden bohren und die beiden Gesellen da vorne würden als Erste sterben und die auf den hintersten Sitzen würden wahrscheinlich überleben. Ich sitze auf 6A. Wir kämen posthum in den Nachrichten. Meine Kamera ist im Gepäckfach über 6D.

Während wir gefühlte dreissig Meter über dem Boden (gemäss der Aufzeichnungen der flightradar24.com waren es 900 Fuss/275 Meter) eine Haarnadel drehen, versuche ich üble Gedanken zu verjagen und schaue mir die Produkte der lokalen Bauern unter mir an. Was wird in Montengro angebaut und hat grüne Blätter? Salate? Kohlköpfe? Peperoni? «Könnte sein, dass der Captain in Ausbildung war und der Instruktor ihn absichtlich so machen liess», meint Werner (Fliegername Alex) später, als ich ihn aus dem Hotelzimmer mailisch nach den eventuellen Gründen für diese Manöver fragte. «Drei Anläufe ist schon etwas viel und ängstigt die PAX. Das ist mir so noch nie passiert.» (PAX = Passagiere) Na toll! Einem versierten Flieger ist das noch nie passiert! Mir aber schon! Ich habs überlebt! Voll krass!

Der letzte aller Versuche gelingt. Die linke Flügelspitze kratzt beim Wendemanöver die Mutter Erde nicht und der Jet legt sich wieder so, wie er sich legen muss, wenn er eine anständige Landung hinlegen soll. Der Pilot oder wer auch immer da vorne das Sagen hat, scheint sich jetzt endlich für den Nordandflug entschieden zu haben. Warum nicht von Anfang an, wir kommen ja aus dem Norden und er muss gewusst haben, dass der Wind aus Süden bläst. Seltsames Gebaren. Hat die Crew da vorne im Cockpit mit unseren Nerven, noch schlimmer: mit unseren Leben gespielt? Mit uns kann mans ja machen. Als wären wir alle Österreicher (ich bin nur ein halber).

Fahrwerk raus, absinken auf Null, meine Sitznachbarin fragt: «Sehen sie die Piste?», ich sage: «No, not yet!» und da wird die Nachbarin noch etwas bleicher. Natürlich sehe ich die Piste, ich grinse galgenhumorig in mich hinein und da fühlen wir sie alle – die Piste! Der harte Asphalt! Fühlt sich gut an! Es wird heftig geklatscht in der Kabine und nun auch wieder geredet, es werden wie üblich die Handys wieder angemacht und wir steigen alle mit absolut vollcoolem Gesichtsausdruck die Gangway hinunter. Als wär› nichts geschehen.

Kein Seich imfall, bitte überprüfen: https://www.flightradar24.com/data/flights/os727#d8f9c60
Die Windgeschwindigkeit betrug um 14h tatsächlich 10 Kn/h aus SSO: http://de.weather-forecast.com

OS 727

Drei Mal die 8 – und dann voll runterstechen. Flug OS 727 im Ausbildungsmodus

Moleskine Notebook

«To lose a passport was the least of one’s worries: to lose a notebook was a catastrophe.»

grippedbäg. Der dies gesagt (oder geschrieben) haben soll, hiess Bruce Chatwin. Der Mann war vieles, auch Schriftsteller, eine Reiseschriftsteller sogar, und einer, der gerne fabulierte, d.h., er auch mal schrieb, was nur in seiner Fantasie so war. In seinem Ausspruch kann ich ihm nur beipflichten. Nur, dass Chatwin mit «notebook» nicht exakt dasselbe meinte wie ich. Ich wäre ohne mein elektronisches Notebook total am Arsch, Chatwin wäre es ohne sein Notizbüchlein gewesen, denn lieber hätte er Tage und Nächte in einer Zelle verbracht, bis seine Staatsangehörigkeit (Grossbritannien) abgeklärt gewesen wäre, denn dann hätte er wenigstens schreiben können. Dieser Chatwin nannte seine Notizbücher liebevoll «Moleskines», was Maulwurfhaut (ohne «e») bedeutet.

Um ebendiese Notizbücher ranken sich Legenden, Sagen und Lügengeschichten. Die berühmtesten aller berühmten Künstler sollen sie benutzt haben, Picasso, Hemingway und eben auch Chatwin, nicht ganz so berühmt zwar, immerhin aber mit einem Bestseller im Palmares («Traumpfade») und einem Roman namens «Der Vizekönig von Ouidah», der verfilmt wurde («Cobra Verde» von und mit Werner Herzog und Klaus Kinski). In «Traumpfade» erwähnt Chatwin sein geliebtes Notizbuch «Moleskine». Die Seiten wären kariert gewesen, ein Gummiband hätte die Deckel aus Karton zusammengehalten, und die Bindung sei aus Maulwurfsfell gewesen (eben «moleskin»). Diese Notizbücher seien in Frankreich hergestellt und von einer kleinen Papeterie in der Pariser Rue de l’Ancienne Comédie verkauft worden. Doch seit 1986 hätte es keinen Buchbinder mehr gegeben, die die Kultnotizbücher herstellten, bedauerte Chatwin in seinem Roman von 1987.

Diese Papeterie in Paris hat es wohl nie gegeben. Aber irgendwelche Notizbücher von irgendwelchen Herstellern wird es auch im 19. und 20. Jahrhundert schon gegeben haben, vielleicht sogar mit Leder aus Maulwurfshäuten oder sonstwelchen Nagetieren. Chatwin können wir nicht mehr befragen, er starb, 49-jährig, 1989 an AIDS. Ebensowenig können wir in Erfahrung bringen, warum er als Engländer ein französisches «e» hinter die englische Maulwurfshaut setzte.

Tatsache ist aber, dass 1996 jemand in der kleinen Mailänder Buchbinderei Modo&Modo sein «Traumpfade» las und sogleich die Absicht fasste, dieses besondere Notizbuch herzustellen. 1998 brachte man das erste «Moleskine» auf den Markt. Es schlug ein wie eine Bombe, jede und jeder, die oder der ein wenig herumreist und dabei den Eindruck machen will, seine Reisen ernst zu nehmen, legte sich das einzigartige schwarze Notizbuch mit dem Gummiband zu. Aus Maulwurfshaut ist an dem neuen «Moleskine» zwar ebensowenig dran wie die Geschichte der Herkunft des Büchleins wahr ist. Modo&Modo spann Chatwin’s Hirngespinst über das legendäre Notizbuch der Künstler und Intellektuellen der vergangenen zwei Jahrhunderte später einfach weiter und spart sich damit jegliche Werbung für sein Produkt. Weil wenn Notizbuch, dann «Moleskine», meinen Schreiberlinge, die etwas auf sich halten (also alle). «Kladde für Kreative» schrieb die «Süddeutsche» 2010, und: «Menschen mögen Märchen. Geschichten müssen nicht immer wahr sein, wir können sie aber trotzdem schön und interessant finden.»

Moleskine Notebooks - Saharaoui

Wahr am Ganzen ist die Geschichte der Entstehung von «Mediterranea», «Tre Vulcani» und jetzt «Saharaoui» und ihren Moleskine-Outfits. Wir wollten ein Buch (in dessen Inhalt nichts erfunden ist!), das sich (auch) bequem im Reisegpäck unterbringen lässt und nach mehrmaligem Aus- und Wiedereinpacken nicht aussieht als ob es eine Kuh durchgekäut hätte. Darum das Gummiband, darum die abgerundeten Ecken, darum das Leseband, darum kein Schutzumschlag, darum die leeren Notiz-Seiten am Schluss. Damit man da Lob & Tadel reinschreiben und bei Gelegenheit auf www.facebook.com/grippedbag posten kann!

hotels.com pletter Pschiss

Wahrscheinlich das Schönste am Reisen ist, Neuland zu betreten. Nie zu wissen, was von dem, was versprochen wurde, und/oder von dem, was man sich selbst versprach, wirklich eintrifft. Nebst dem Unversprochenem, das eintrifft (der grössere Teil), dem Unerwarteten, das glücklicher macht als alles Erwartete, warten natürlich auch falsche Versprechungen. Das beginnt schon bevor man überhaupt einen Schritt ins Freie gemacht hat, Tage oder Wochen vorher.

Beim Buchen – Hotels oder Flüge oder Schiffe oder Züge buche ich mitunter im Voraus (was natürlich die Vorfreude schon ziemlich schürt), weil die Preise tiefer sind (Last Minute ist ein Mythos!) – erlebt man auch so einiges Unerwartetes. Darum dauert das bei mir immer eine ganze Weile. Stundenlang nachts am Compi hocken und die günstigste Möglichkeit auschecken. Alle Hotelportale durchgehen und gegeneinander ausspielen. Den günstigsten Flug am geeigneten Tag in der optimalsten Jahreszeit suchen – und dann buchen. Zuschlagen beim günstigsten Angebot. Nicht beim billigsten. Ich mag Billigflüge und Billighotels nicht und schon gar nicht Hostels. Ich mag optimale Erfüllung meiner Bedürfnisse zum günstigsten Preis. Dafür hocke ich schon mal stundenlang einsam da in meinem Schreib- und Studierstübchen und klicke mich durch die Angebote.

Der Spass beginnt so richtig, wenn ich mich auf ein Zielobjekt festgelegt habe. Zum Beispiel unlängst das Hotel Maritim Park in Riga. Es steht ausserhalb des Stadtzentrums auf der linken Seite der Daugava am Rande des Uzvaras Parks. 4*-Komfort, Wellness, Fitness, Fluss, Grüngürtel und Straßenbahn vor der Haustüre (ich mag muffige Stadthotels aus dem 18.Jh. nicht (Riga ist bekannt dafür), ausserdem sind die Preise im Zentrum stets höher als in der Agglo und wenn man Pech hat, kriegt man ein Zimmer auf einen engen Innenhof oder auf eine Hauptverkehrsachse). Ich checke die Zimmerpreise auf den gängigen Hotelportalen hotel.de, hotels.com, venere.com, booking.com und auf der Homepage des Hotels selbst. Die Tagespreise für ein Einzel im von mir gewünschten Zeitraum (Juni) liegen zwischen 55€ und 85€, je nach Stornierungsbedingungen (tiefere Preise = höhere Stornierungsgebühren bzw. u.U. Totalverlust bei No Show). Dabei hält auch das Hotel selbst auf seiner Buchungsseite mit dem tiefsten Angebot mit. Somit ist klar, wo ich meine Buchung machen muss.

Denn bei kleineren Hotels, wo der Besitzer selbst am Desk steht, fällt es diesem beim Einchecken auf, dass der Gast direkt gebucht hat. Damit muss er den Buchungsportalen keine Provision abdrücken, was den Gast sympatisch erscheinen lässt. Der Besitzer hat also Freude an mir und wird mich zuvorkommend bedienen und vielleicht mal einen Schnaps springen lassen an der Bar (solche Hoteliers gibt es noch, imfall!). Wenn es ein grosses Hotel ist (das Maritim Park hat ein paar hundert Zimmer), dann steht am Desk ein Trainee oder im besten Fall der Desk Manager und denen ist es ziemlich egal, wer wo gebucht hat, Hauptsache, er hat. Darum wählt man beim Buchen von grossen Hotels (ich mag grosse Hotels) einfach das oberallergünstigste Angebot.

Für «günstigst» entscheiden noch andere Facts. Zum Beispiel Rabatte. hotels.com bombardiert mich (die anderen auch) wöchentlich mit Günstigangeboten und Rabatten. 12% haben sie mir letzti versprochen, anwendbar bei der nächsten Buchung über ihre Site, gültig bis 5.Mai. Nun gut, buche ich das Maritim Park über hotels.com, dann habe ich auf die 55€ noch 12% Rabatt. Also logge ich mich mit dem Rabatt-Code ein. Doch plötzlich gibt es für das Maritim Park kein Angebot zu 55€ mehr, sondern nur noch eines zu 85€ (dafür jederzeit kostenlos stornierbar). Das Schnäppchen ist weg von der Seite. Doch bei den anderen Buchungsportalen und auch beim Hotel selbst ist das Zimmer immer noch zu +/- 55€ drin. Seltsam.

Rabattangebote von hotels.com = completter Beschiss? Könnte schon sein, aber ich mache mir keine Illusionen, die anderen Portale operieren vermutlich ebenso. Weil ich aber gerne stundenlang am Compi hocke um das günstigste Angebot zu finden, enerviert mich solches Tun nicht mehr. Beim nächsten Mal hat hotels.com das Schnäppchen und ein anderer Anbieter bescheisst mit Rabatten. Ist mir doch egal. Ich buche beim Günstigsten.