Wahrscheinlich habe ich grad den falschen Zeitpunkt erwischt, um mir die Wasserfälle am oberen Blauen Nil anzusehen. Das was hier bitzli mickrig aussieht, sind die zweitgrößten Wasserfälle von Afrika (nach den Victoria Falls des Sambesi). Nicht mit der Höhe oder Breite, sondern mit der Menge Wasser, die hier runterfällt wenn es mal tüchtig regnet. Das Bild, dass sich dem Betrachter dann zeigt, muss grandios sein. Ebendieses Bild hat den Fällen und dem Dorf unweit davon ihren Namen gegeben: Tis Issat – «Rauchendes Wasser».
Über die Tis Issat-Fälle stürzt sich der junge Blaue Nil über eine 42 Meter hohe Geländestufe im Norden Äthiopiens, unweit des Lake Tana. Dabe wird dem Nil, der bei den Einheimischen Abay (auch Abbai) genannt wird, seit 2001 einiges Wasser entzogen und durch ein zweistufiges Kraftwerk geleitet. Dieses Wasser sieht man nicht, es erzeugt aber knapp 85 MW Energie (ca. doppelt so viel wie das Rhein-Kraftwerk bei Eglisau/CH).
Etwa 1 km flussabwärts steht die älteste Steinbrücke Äthiopiens aus dem Jahr 1626. Sie überquert den in einer tiefen Felsspalte verlaufenden Abay. Bei Regen steigt der Blaue Nil rund zehn Meter bis knapp unter ihre Bögen – die Brücke hat es aber bis heute überlebt. Um den herrlichen Panaoramablick auf die Wasserfälle zu bekommen, muss man zu Fuss über die Brücke und dann etwa 10 Minuten nach Westen gehen. Nach Osten führt ein Pfad zu einem eineinhalb Stunden entfernten Kloster.
Dort lebt ein Mönch, den zu besuchen für viele Menschen in der weiteren Umgebung mehr oder weniger Pflicht ist. Der Mönch macht sich dieses Pflichtbewusstsein zunutze, indem er die Menschen beauftragt, mindestens einen Baustein, besser zwei, mitzubringen, und zwar die grossen, rund 10 Kilo schweren. Die Leute sehen das als Opfer, wahrscheinlich auch als Busse für ihre Sünden, als gute Tat und/oder Hilfeleistung/Spende, jedenfalls baut der Mönch mit diesen Steinen an seinem Kloster weiter.