In der Region um Tschernobyl (Oblast Kiev – Kanton Kiew) gab es vor dem GAU auch einige kleinere Dörfer. In der topfebenen Landschaft wurde Landwirtschaft betrieben – nach sowjetischer Art in Kolchosen bzw. Kollektivbetrieben.
Kopachi, Oblast Kiev (51°20’43.4″N 30°06’34.4″E) – hier sind wir auf dem Maschinenhof einer ehemaligen Kolchose (sozialistisches Landwirtschaftskollektiv). Natürlich wurden auch diese Betriebe wie alle Dörfer innerhalb der 30km-Zone im April 1986 geräumt. Von diesem Betrieb stehen heute nur noch die Mauern der Lagerhallen, Garagen und Ställe. Alle Bauten aus Holz wurden niedergerissen und vergraben. Das hat seinen Grund darin, dass Holz wie alle organischen Materialien, auch Erde, die radioaktiven Elemente (hier Cäsium 137) absorbiert. Das heisst, dass ein Getreidefeld (bzw. das Getreide) oder ein Baum noch jahrelang strahlen kann, auch wenn die Strasse daneben es nicht mehr tut, weil sie gereinigt wurde. Auch die Luft ist hier völlig strahlungsfrei. Die Radioaktivität kann sich akkumulieren, wie hier in dieser Milchkanne, in der sich nach dem Unfall viel radioaktiver Fallout angesammelt hatte. Ihr Inhalt strahlt daher mit höherer Energie als die Kanne selbst.
Man nennt diese Orte mit erhöhter Strahlung sinnigerweise «Hot Spots». Unsere Dosimeter beginnen in ihrer Nähe wie verrückt zu piepen und zeigen auf dem Display die Werte an, hier 0.67mSv, was etwa einem Drittel des Wertes entspricht, der man in Mitteleuropa auf natürliche Weise pro Jahr ausgesetzt ist. Das bedeutet noch keine extreme Exposition, es bedeutet einfach, dass wenn man hier drei Stunden neben der Kanne sitzen würde, ebensoviel Radioaktivität aufnehmen würde wie in Degersheim das ganze Jahr, was man, also ich, auch nach 25 Jahren noch überlebt.
Sofort nach dem Unfall wurde der Betrieb in den Kolchosen eingestellt, die Dörfer evakuiert. Die damaligen Getreidefelder und Weiden sind heute natürlich bewaldet. Der Natur hat die Bestrahlung durch den Fallout scheinbar nicht geschadet. Nur wo viel Schutt aus den Helikopterlasten fiel, starb der Wald ab («Red Forest» genannt, weil die Bäume durch die Strahlung rot wurden). Diese Zone wurde gerodet und neu angepflanzt. Heute steht auch da ein lichter Birkenwald und nichts weist auf irgendwelche Verseuchung hin. Auch die Fauna entwickelt sich in der Zone erfreulich und zudem ungehemmt, weil nicht gejagt werden darf. Es leben hier nebst allerlei Kleingetier und Vögel (u.A. Adler) auch Wölfe und Bären sowie eine Herde wilder Pferde. Natürlich wird die Entwicklung von Flora und Fauna kontinuierlich wissenschaftlich begleitet, wobei man bestimmte nicht überlebensfähige Mutationen festgestellt hat. Es rennen keine dreiäugigen Hasen herum und die Bäume wachsen nach wie vor nach oben und nicht seitwärts.
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