Datteln und Dörfer zeigen – Warum eine 1000 Jahre alte Stadt zerfällt – die UNESCO hält dagegen und die Bevölkerung verdient mit – Von Hosenknöpfen im Sandkasten
OUADANE. Man muss sich Mauretanien wie ein Sandkasten vorstellen, in dem jemand ein paar Hosenknöpfe verloren hat. 1 Mio Quadratkilometer – 25x die Schweiz – und dabei gibt es fast nur Sand. Ein paar Felsen noch, keine Berge, wie wir sie kennen, keine Flüsse oder Seen, wie wir sie kennen. 4.3 Mio Einwohnende, d.h. dreieinhalb Einwohnende pro Quadratkilometer. Gut eine Mio wohnen in der Hauptstadt Nouakchott (der grösste Hosenknopf). Das heisst wiederum, die anderen 3 Millionen muss man in der Wüste suchen. Auch dort rotten sie sich in Dörfern und Kleinstädten zusammen, selbst die Nomaden sind nie alleine, sondern in Familienverbänden unterwegs. Das heisst, unter dem Strich, man kann durch die mauretanische Wüste fahren (mit einem Geländefahrzeug) und einen ganzen Tag lang keinem Menschen begegnen. Oder man könnte zu Fuss gehen und eine ganze Woche lang keinem Menschen begegnen. Man könnte in der mauretanischen Wüste (Sahara) verdorren und kein Mensch würde es jemals merken. Es bräuchte einen Gentest, um das übriggebliebene Gerippe von dem eines verreckten Esels zu unterscheiden.
Für die Nomaden Mauretaniens ist das Alltag. Wenn sie niemandem begegnen wollen, begegnen sie auch niemandem. Wenn sie Kontakt suchen zu anderen Nomadenclans, dann finden sie den auch. Ohne Handy und GPS. Etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes lebt nomadisch oder halbnomadisch. Ihr Interesse gilt den Tieren, der Zucht von Dromedaren und Ziegen sowie Eseln als Lasttiere. Mit ihren Tieren und ihrem Sack und Pack und Kind und Kegel ziehen sie dorthin wo es Futter hat. Ja, auch in der Wüste gibt es noch Futter, es gibt immer wieder auch mal Wasser, unterirdisches meist, in Brunnen kann man es sozusagen «ernten». Und weil ein paar Meter unter dem Sand (manchmal sind es auch nur ein paar Zentimeter) eben dieses Wasser ist, gibt es auch Pflanzen, die ihre Wurzeln so weit in die Tiefe schlagen und somit überleben können. Wo etwas mehr Wasser ist, bildeten sich seit Jahrtausenden schon Oasen. In den Oasen kamen dann die Leute zusammen, manche bauten ein kleines Dorf, andere zogen weiter. Die Dörfer wurden zu kleinen Städten, in denen Routen von Handelskarawanen zusammeliefen oder sich kreuzten. Es wurde Handel betrieben, unter den Nomaden, unter Nomaden und Städtern von der Atlantikküste oder, im 19. und 20. Jahrhundert, mit Kolonialisten. Wichtigstes Handelsgut war Salz, davon gibt es in der Wüste zuhauf, dann Fleisch (Kamele, Ziegen) und Gold.
Städte dieser Art (eigentlich sind es Dörfer) überlebten Jahrhunderte – und es gibt sie heute noch. Doch die Bedeutung hat geändert. Niemand kauft mehr Kamelfleisch oder Salz. Handelskarawanen gibt es nicht mehr (es sei denn für Touristen), das erledigen heute Pick-Ups oder Flugzeuge. Die Städte in der Wüste entvölkerten sich und der Sand überdeckte die Überreste. Die Häuser zerfielen und kurz bevor gar nichts mehr zu sehen war, kam die UNESCO und stellte sie unter Schutz. Da gruben Experten und Einheimische mit dem Geld der UNESCO die Ruinen wieder aus und erhalten sie für die Nachwelt. Das muss man sich dann vorstellen wie die Ruine Ramsenburg: Ein paar Grundmauern bis zur halben ehemaligen Höhe. Dazwischen führen einheimische Führer fremde Touristen durch die Labyrinthe und schlagen einheimische Frauen ihre Souvenirläden auf.
Ouadane ist so eine Kleinstadt. Der Ort wurde 1147 auf einem Felsen neben einer Oase gegründet. Bis zu seiner vollen Blüte lebten hier 1’000 Menschen. Doch die Beuteung als Handelsplatz schwand im 18. Jahrhundert, Ouadane entvölkerte sich und noch dazu frassen Thermiten das Holz der Hausdächer. Heute gibt es neben den geschützten Ruinen ein neues Dorf mit irgendwo 4’000 Einwohnenden. Sie leben vorwiegend vom Tourismus und dem Dattelhandel aus den Palmerien der Oase. Tasächlich gibt es in Mauretanien einen Tourismus, er steckt in den Kinderschuhen, doch die wenigen Tausend Touris – die meisten aus Frankreich – bringen schon mal etwas Geld ins Land. Und sie haben Geld, denn es sind nicht die Art der Pauschaltouristen, die glauben, mit einem im voraus einbezahlten Betrag sind dann alle Kosten des Urlaubs gedeckt. Es sind Individualtouristen, wissbegierig, interessiert, meistens einigermassen geländegängig, spendierfreudig. Sie bringen auch die Unsitte des Trinkgeldes ins Land. Etwas war der Mauretanier bis jetzt noch gar nicht kennt (die Mauretanierin hat in Mauretanien nicht allzu viel zu sagen).