Durch die Wüste wo keine Strassen mehr sind – Ben Amera und die schönste Seite von Aisha – Die Gendamerie wird aus der Siesta geholt – Und in Choum gibts keine Glacé
CHOUM. Es ist manchmal gut, man weiss nicht alles. Und manchmal ist es sogar sehr gut, wenn man gar nichts weiss (frei nach der Prelude aus «Mediterranea» (verlag grippedbäg 2014)). Wüsste man stets, was auf einem zukommt, man hätte Angst davor und würde es ablehnen oder leiden. Würde ich wissen, dass wir die nächsten realen fünf Stunden durch die Wüste schaukeln, ich nähme es hin und würde die Schönheit des Weges trotzdem geniessen. Ich weiss es aber nicht und geneisse darum trotzdem jeden jeden Schaukler. Eher weniger geniessen tut es meine Reisebegleiterin Verena. Sie kotzt fünf Stunden lang (für sie wahrscheinlich gefühlte zehn Stunden). Mir altem Seefahrer aber macht das Schaukeln durch die Dünen nichts aus. Ich geniesse es, meistens. Zudem habe ich in die beiden A’s im Wagen (Adama und Achmad) tiefstes Vertrauen, dass wir dort hinkommen, wo wir wollen. Uns bleibt ja auch nichts anderes übrig. Ich habe gerade mal eine geringfügige Ahnung, wo ich bin, zumal in Mauretanien, und wir fahren nach Osten, dorthin wo noch mehr Sahara ist. Nur noch Sahara. Nur noch das sandige Nichts im gelbgrauen Nirgendwo.
Links von unserem Weg, was heisst Weg, einen solchen gibt es nicht, man muss das im übertragenen (philosophischen) Sinne verstehen (der Weg ist das Ziel), also links von uns nehme ich stets das Bahntrasse des train minéralier wahr. Dahinter ist die Grenze zur Westsahara, die nicht mehr markiert ist wie noch gestern. Geflissentlich sollten wir also besser nicht die Geleise überqueren, denn dann hat es in der Wüste nicht mehr nur Sand, sondern auch TNT. Und doch, beim nächsten Dorf mitten im Sand überquert Adama mit dem Pick Up die Schienen. Er muss rüber, denn auf der anderen Seite ist ein Gendamerieposten. Es ist der dritte auf unserem Weg und auch hier spielt sich die gleiche Szene wie schon vorher ab. Der diensthabende Soldat wird durch uns aus seiner Siesta geweckt (die wohl täglich 24 Stunden dauert) und schaut ziemlich schräg drein ob uns hellhäutiger Touristen. Achmad wechselt ein paar für uns unverständliche Worte mit ihm und Adama gibt ihm die Kopien unserer Reisepässe (Idoumou hat in Nouadibou vorsorglich ein Dutzend Kopien machen lassen). Der Soldat (oder Polizist, was auch immer) schreibt Tag und Uhrzeit drauf (sofern er grad einen Kugelschreiber bei sich hat, ansonsten schenke ich ihm einen) und das Dokument wandert in irgendeine Schublade und wird wohl nie mehr hervorgenommen.
Dann wagt sich unser Fahrer doch tatsächlich weiter nördlich der Bahnlinie in das Territorium hinein. Der Grund liegt vor uns: Ben Amera und seine Frau Aisha. Die beiden Felsblöcke sind die grössten eines guten Dutzends Monolithen hier in der Gegend. Ihre Namen erhielten sie von den hiesigen Einwohnenden. Ben Amera ist der zweitgrösste auf der Erde, darauf sind sie stolz. Doch was es mit ihm und seiner etwas kleineren Aisha zu tun, hat, wissen unsere zwei Führer nicht. Da muss man das Internet bemühen – doch ein solches gibt es hier nicht. Sowenig wie ein Mobilfunknetz oder Strom. Oder Wasser. Wir sind nur voll am Arsch, pardon, in der Wüste. Als wir uns um die Mittagszeit gerade unseren Lunch gönnen (und Verena sich dir Resten ihres Mageninhalts aus ebendiesem kotzt), donnert der «desert train» vorbei. Zweieinhalb Kilometer rollender Stahl. Die Wüste (und wir) erstarren schier vor Ehrfurcht dieses staubaufwirbelnden Anblicks. Wir verharren einige Minuten vor dem eisernen Ungetüm, winken den Lokführern zu und fahren dann weiter. Zwei Stunden später machen wir in Choum eine kurze Pause. Der Zug, bzw. das Trassee dreht hier nach Norden. Wir nach Süden. Und es hat hier auch wieder eine Strasse, sogar eine asphaltierte. Nur Glacé haben die Läden hier keine. Dafür Melonensaft im Tatrakarton. Isch au fein. Noch eine Stunde bis Atar, dann auftanken und zwei Stunden Kiespiste bis Chinguetti. Dann zelten und Znacht. Und die Wüste hat uns wieder.