Es gibt einiges zu tun im neuen Land – Hotelsuche, Registration bei der Polizei, SIM-Karte auftreiben, Kamelfleisch testen, Bus reservieren und duschen mit kaltem Wasser – Bloss weg aus Wadi Halfa!
WADI HALFA – Wahrscheinlich bin ich gerade der, der den ganzen Minibus vom Hafen ins Städtchen finanziert. 50 Pfund habe ich dem Chauffeur gegeben, bei allen meinen Mitfahrenden sehe ich kein Geld die Hände wechseln. Und es sind viele Mitfahrende, der Bus wird gerammelt voll und der Gepäckträger auf dem Dach bricht schier zusammen unter seiner Last. Der Bus, ja eigentlich ist es ja ein Minibus (Toyota Hiace) bringt uns nach Wadi Halfa. das nördlichst gelegene Städtchen im Sudan, idyllisch am oberen, also südlichen Ende des Nassersee gelegen. Die verbleibende Zeit an diesem Montagnachmittag verbringe ich mit Unabdingbarem: Ein Hotel finden, den Polizeiposten aufsuchen zwecks Registrierung (man muss sich als Tourist innert drei Tagen im Land registrieren lassen, auch wenn man nur zwei Tage bleibt), eine Daten-SIM-Karte kaufen (es gibt hier nicht mehr an jeder Ecke WiFi), ein Busticket erstehen. Tatsächlich erweist es sich, dass man für diese vier Obliegenheiten einen ganzen Nachmittag braucht.
Dann gibt es Znacht. Ich sitze bei einem frischgepressten Orangensaft auf der Terrasse einer Saftdiele und treffe zufällig Nicolas, der in einem anderen, günstigeren Hotel (Absteige) eingecheckt und die selben Pflichten erledigt hat müssen (ausser der SIM-Karte, er legt nicht allzu viel Wert auf permanente Verbundenheit). Ich schlage vor, zum Dinner das Restaurant gleich nebenan aufzusuchen. Am Vordach über der Terrasse hängt ein halbes Tier, der Haut entledigt, ein Kamel, wie man uns bescheidet. Gleich daneben in einem Karbäuschen steht einer, nennen wir ihn Metzger, der schneidet ein Stück Fleisch aus dem Kamel und präsentiert es mir. Von der Grösse her meine ich, dass es meinen Hunger decken wird. Der Metzger wiegt das gute Stück, schnetzelt es in Stücke und wirft es auf einen Grill. Wir setzen uns an ein Tischchen, Nicolas scheint der Hunger anbetrachts des hängenden Kamelhinterteils vergangen zu sein, bestellen Limonade und warten. Warten nur fünf Minuten, schon habe ich das gegrillte Kamel vor mir. Es ist zäh wie Leder. Während ich intensiv kaue, fällt mir ein Teil einer Zahnfüllung rechts oben raus. Nicht unschmerzhaft, nicht das Rausfallen, sondern das Daraufbeissen, denn Zahnfüllungen fallen in der Regel nicht unbemerkt heraus sondern immer zwischen zwei Stockzähne während des Kauens.
Die Abfahrt aus Wadi Halfa naht. Eine kurze Nacht nach nur 18-stündigem Aufenthalt, um vier geht der Bus, ich stehe um halb Vier auf und dusche mangels warmem Wasser kalt. Blanker Horror, dafür hellwach. Zum Busbahnhof sind es zu Fuss fünf Minuten. Ich bin nicht allein, ein reges Chaos herrscht bereits, ich kaufe mir eine Tassen heissen Tee, setze mich in meinen Bus und warte. Der Bus fährt um Punkt vier Uhr los. Beim Checkpoint an der Stadtgrenze werden Führerschein des Fahrers und der Fahrtenschreiber im Bus kontrolliert. Dann drei Stunden Fahrt durch die Dunkelheit. Als die Sonne aufgeht, hält der Bus mitten in der Wüste, Menschen eilen raus und beten im Sand. Ich löse Wasser. Zwei Stunden später die Gelegenheit zum Frühstück in einer Raststätte. Die Menschen essen Heissgekochtes (Bohnen und Undefinierbares) mit den Fingern, ich habe keinen Appetitt auf Festes lasse mir einen wunderbaren Kaffee mit Kardamongeschmack geben. Wieder lösen Männer Wasser hinter der Raststätte, die Frauen verschwinden in halbzerfallenen Hütten. Die Umgebung ist mit leeren, flachgedrückten PET-Flaschen aller Art versaut, in den wenigen mageren Büschen hängen weisse Kunststoffeinkaufstüten. Und rundherum nur Sand und die pfeilgerade Aspahltpiste mittendurch. Echt krass skurril das Ganze.
Beim nächsten Halt gegen Mittag werden zwei Jungen in den Bus gelassen. Sie verkaufen Datteln und Orangen. Die Musik aus der Mediathek meines iPhones beginnt sich zu wiederholen. Noch vier Stunden bis Khartoum. Links Sand, rechts Sand, manchmal eine Skelett eines vor Hitze oder Last oder beidem zusammengebrochenen Esels. Manchmal Schafhirten mit einer Handvoll abgemagerter Schafe (oder Ziegen, wer weiss das schon). Immer wieder Mobilfungantennen. Wunderbar. So weiss ich immer wo wir sind. Vor und nach grösseren Orten Checkpoints der Polizei. Sie interessiert sich vorab für den Fahrer und das Fahrzeug, nicht für uns Passagiere. Es steigen die ganzen zehn Stunden keine ebensolche zu oder aus. Direktkurs Wadi Halfa to Khartoum. Und wo ist eigentlich der Nil? Er schlängelt sich in grossen Bewegungen durch die Wüste, die Strasse führt pfeifengerade nach Süden. Den Fluss sehe ich erst in der Hauptstadt wieder, grösser und mächtiger als in Luxor oder Kairo. Ein schöner Teil seines Wassers wird ihm in Ägypten und im Norden des Sudans zur Bewässerung der Äcker an seinen Ufern genommen. In Alexandria, dem Ausgangspunkt meiner Reise, kommt längst nicht mehr soviel an, wie sich hier in Khartoum, wo sich weisser und blauer Nil vereinen, hindurch drängen.