Es raucht in den Köpfen von Alexandria’s StudentInnen – Besuch in der Biblioteca Alexandrina – wenn überall Polizeiabsperrungen sind und wie man sich eine Zitrone ausdrücken lässt.
ALEXANDRIA – Man kann ja vieles tun an einem Nachmittag des Jahres letzten Tag’s. Zum Beispiel vor dem TV rumhängen, sich vorbetrinken (oder beides zusammen), oder Skifahren fahren, oder man kann sich etwas ansehen gehen (Museum/Einkaufszentrum/Spengler Cup). Nicht alles vom Genannten birgt nachhaltig Vorteile (gerade höre ich in den Nachrichten auf Rock Antenne, dass in Frankreich ein Skifahrer von einem Baum erschlagen wurde (Sport ist Mord (meine Rede))). Da ich grad in Alexandria bin, fällt das Eine und Andere ausser Betracht, Essen aber fällt nie ausser Betracht. So also begebe ich mich zwecks Mittagessens in eine vom googel empfohlene Beiz namens «Cap d’Or».
Aus Gold ist da natürlich nichts, aber es gibt Bier, was nicht selbstverständlich ist in dieser Stadt, und nach Bier dürstet mich jetzt. Der Wirt, ein kleiner Mann ohne substantielle Englischkenntnisse (was ich ihm nicht im Geringsten zum Vorwurf mache, da ich ja ebensowenig substantielle Arabischkenntnisse habe), meint gleich zu Beginn des Bestellungsgesprächs, dass es nur Fisch gibt. Womit die Frage nach der Karte sich soeben selbst erledingt hat. Er macht ein paar Vorschläge in gebrochenem Englisch/Italienisch/sonst irgendwas, woraus ich den einen und anderen Begriff heruaszuhören glaube. Ich bestelle also und erhalte dann frittierte Tintenfischringe (kennt man) sowie eine Handvoll gebratene Crevetten (kennt man enad auch). Plus Salat und Fladenbrot und ein Tellerchen mit einer Creme, die sich wie Omelettenteig anfühlt und auch so schmeckt.
Wie ich in der Folge so richtig reinhauen möchte, kommt der Wirt nochmal daher und presst eigenhändig und faustdick eine Zitrone über meinen Früchten des Meeres aus. Ich lasse es geschehen, auch im Wissen, dass dies einer der ganz grossen Reisefehler ist, den man begehen kann und bin optimistisch. Inschallah würden sie hier sagen, wobei hier wohl eher mein antibakterielles Abwehrsystem gefragt sein wird statt der liebe Gott. Ansonsten lässt er mich dann essen und diskutiert mit einem älteren Gast am Stock am Nebentisch, wobei mich beide nicht aus den Augen lassen. Dann und wann rennt eine Dame, von der ich annehme, dass es die Köchin ist, mit dem Handy am Ohr durchs Lokal auf die Strasse. Von diesem Moment an weiss ich, warum die Frauen hier Kopftücher tragen: Mann kann damit das Handy ans Ohr klemmen und hat beide Hände frei zum Kochen/Putzen/Kinderfüttern usw. Dumm nur, wenn man in der Küche keinen Empfang hat.
Mein nächster Plan ist die Bibliothek. Die berühmte Biblioteca Alexandrina, scheint’s die grösste Bibliothek im arabischen Raum. Da das Internet hier überall ein wenig bis sehr viel harzt, habe ich mir den Strassenplan der Innenstadt dieser Stadt vorab eingeprägt (bzw. versucht einzuprägen, wobei der situationsbedingte Schlafentzug in der letzten Nacht dabei eher hinderlich war). Nun macht mir die Polizei einen Strich durch die Rechnung, indem sie eine Strasse einfach sperrt und meinen sauberen Plan im Kopf zerbröseln lässt. Klar, die machen ja nur ihren Job und der ist delikat genug in diesen Zeiten in Ägypten, ich muss mich neu orientieren, bzw. teures Datenroaming beanspruchen. Doch allzu schwierig ist die Wegfindung zu dieser Bibliothek auch auf Umwegen nicht, steht sie doch am Meer und fast ist mir als hörte ich es schon rauschen (in Tat und Wahrheit ist es der rege Strassenverkehr). Schliesslich finde ich das Ding und auch den Ticketschalter, der nicht gleich beim Eingang ist, sondern etwas weiter davor und so bschriftet, dass man, also ich, nicht erkennt, dass es der Ticketschalter der Biblioteca Alexandrina ist, da in arabischer Schrift, derer ich nicht mächtig bin, beschriftet. Doch der freundliche Ticketvorkontrolleur – auch hier gibts Eingangs-, Sicherheits- und Ticketkontrolle inkl. Metalldetektor à la Flughafen (kein Scherz imfall – drei Kontrollen!) – weist mich auch die Begebenheiten hin.
Die Biblioteca Alexandrina wurde in den Nullerjahren anstelle (nicht an der Stelle) der ehemaligen antiken Bibliothek von Alexandria gebaut. Jene war über min. 600 Jahre (300 v.Chr. bis 300 n.Chr.) die grösste Bibliothek von Afrika und soll über 700’000 Schriftrollen besessen haben. Davon ist nichts mehr erhalten, nicht einmal irgendwelche schriftlichen Zeugnisse über den Untergang, der, vermutet man, im Zuge der Islamisierung Ägyptens vonstatten ging. Es lag also nahe, in Alexandria eine neue Bibliothek zu bauen, was ab 1985 unter gütiger Mithilfe des Staatspräsidenten Hosni Mubarak dann auch geschah. 2002 ging der 218-Mio-$-Bau zweier norwegischer und eines österreichischen Architekten in Betrieb. Bezahlt hat die neue Biblioteca Alexandrina gut zur Hälfte der ägyptische Staat, den Rest einige arabische und europäische Geberländer sowie die UNO.
Mit dem Platz von bis zu 8 Mio Büchern könnte die BA die grösste Bibliothek des Kontinents sein. Doch zurzeit umfasst die Sammlung von zugänglichen und unzugänglichen Medien nur rund 550’000 (wobei sämtliche Bände des Verlags grippedbäg aus mir unverständlichen Gründen fehlen). Die Bibliothek hat wohl zurzeit im Finanzhaushalt Ägyptens nicht erste Priorität. Nichtsdestotrotz ist sie bei den alexandrinischen StudentInnen ein heissgeliebter Ort für Recherchen und/oder rauchende Köpfe. 2’000 Arbeitsplätze gibt es Lesesaal und rund 600 Computer. Die Inneneinrichtung wurde vorwiegend in Holz gehalten, was eine warme, sanfte Atmosphäre erzeugt. Wobei ich gerne auch erfahren hätte, woher dieses Holz kam, ebenso wie der Granit der Südfassade (die auch eine Sonnenuhr ist). Beides gibt es in Ägypten nicht.
Bibliotheca Alexandrina – man sieht’s aus den Köpfen der Studenten rauchen (oder auch nicht, siehe Dame im Vordergrund)