Das hätte ich jetzt nicht erwartet: Ein Kino in Tanger! Und dann noch ein Arthouse-Kino, das jeden Tag fünf Filme abspielt, darunter auch viele im Land selbst gedrehte Dok- und Spielfilme. Dabei ist das «Cinéma Rif» erstaunlicherweise in gutem Zustand, nicht so abgesifft wie so vieles in dieser Stadt. Ein wunderschönes Kino, so im Art-Deco-Stil, mit viel Charme uns stets ein paar schwer rauchenden Intellektuellen (und solche die sich dazu zählen) in den Sesseln im Entrée («Lounge» sagt man dem heutzutags).
Das Cinéma Rif am Place du 9 Avril 1947 (der so heisst, weil der damalige Sultan von Marokko hier am 9. April 1947 eine massgebliche Rede auf dem Weg zur Unabhängigkeit hielt (die Marokko dennoch erst 1956 erlangte)) wurde 1948, also zu Zeiten, als Tanger kein Staat und keine Kolonie, sondern eine Freihandelszone unter internationaler Verwaltung war, gebaut. Der Grund dürfte wohl das wachsende Bedürfnis der internationalen Anässigen, Übersiedler und Diplomaten nach gepflegter cineastischer Unterhaltung gewesen sein. In den Jahren vor der Jahrtausendwende degenerierte das Programm des «Rif» zum Unterhaltungstempel mit seichter Setlist und Bollywood-Filmen, das seinen Saal mit 500 Plätzen nur noch mit Mühe nachhaltig füllen konnte.
2005 wurde das Cinéma Rif totalrenoviert, sein «Grande Salle» wurde in einem mit 380 und einen kleinen mit 60 Sitzplätzen umgebaut. Das Programm wechselte ab der Neueröffnung am 29. Mai 2006 radikal zu Studio- und Dokumentar-Filmen, und zunehmend wurden auch einheimische, bzw. Filme arabischer und ägyptischer Herkunft programmiert. Der Projektor des grossen Saals wurde so gebaut, dass er um 180 Grad gedreht werden und eine Leinwand auf dem Vorplatz des Kino’s bespielen konnte. Damit wurden Openair-Events wie das «Festival national du film de Tanger» (jeweils anfangs März) mit 4’000 Zuschauenden möglich. 2007 etablierten einehimsche und französische Produzenten und Filmenacher das Medienbibliothek und -Netzwerk «Cinémathèque de Tanger».