Wenn man also tief in Tangers Medina eintaucht, wenn man immer weiter geht und alle Strassenkarten auf dem Internet vergessen muss, weil sie einach nicht mehr stimmen, wenn man also denkt, jetzt geht es dann wirklich nicht mehr weiter, genau dann, dann geht es nicht mehr weiter. Sackgasse. In einer dieser Sackgassen, die sogar einen Namen hat (alle Gassen in der Medina von Tanger haben Namen), nämlich «Rue Ibn Battouta», liegt am Ende, bzw. steht das Grabhaus von Ibn Battouta («Le tambeau Ibn Battouta»). Und wenn man jetzt glaubt, dieses Tambeau sei derart unauffindbar tief drin in dieser Medina, dann glaubt man unrichtig, denn es sind schon zwei Touristen auch da.
Offensichtlich ist die Grabstätte in den gedruckten und geonlineten Reiseführern nicht unerwähnt. Das ist auch richtig so, denn dieser Ibn Battouta ist ein recht berühmter Sohn der Stadt. Wahrscheinlich der berühmteste, obwohl er keine wirklich grossen Heldentaten vollbracht hat. Aber das haben andere aus Tanger wohl auch nicht, und darum ist Ibn Battouta der berühmteste Tangerer. Andererseits, weil er eben nicht wirklich heldenhaftes vollbracht hat, hat es nur für eine kleine Inschrift an seinem Grabhaus gereicht und nicht zu einem Riesendenkmal auf einem zentralen Platz in der City. Immerhin aber hat man den Flughafen der Stadt nach ihm benannt: «Aéroport Tanger Ibn Battouta» (wobei sich die Verantwortlichen erst 2008 dazu bewegen liessen, den Flughafen gibt es schon seit 1958 und er hiess vorher anders).
Wer ist dieser Mann, der kein Held und doch berühmt war? Er ist einer wie ich, bzw. er war einer wie ich bin. Ein schreibender Reisender bzw. reisender Schreiber. Er ging schon als 21-Jähriger (wie ich) in die weite Welt. Er wurde 1304 in Tanger geboren (ich nicht) und sah sich, kaum erwachsen geworden, verplichtet, den «Hadsch» nach Mekka anzutreten. Von dieser Pilgerfahrt kehrte er erst 1346, also 21 Jahre nachdem er aufbrach, in seine Geburtsstadt zurück. Er blieb nicht in Mekka, sondern bereiste fast alle bis dahin islamisierten Länder im Osten und dazu noch ein paar nicht islamisierte. Es verschlug ihn nach Indien und China und als er sich zur Rückreise besann, machte er noch einen Abstecher nach Tansania.
Doch er wäre wahrscheinlich nicht nach Marokko zurückgekehrt, wenn in der ganzen Region des Nahen Ostens nicht die Pest ausgebrochen und noch dazu zuhause sein Vater nicht gestorben wäre. Also ging er nach Tanger zurück, wo er vergewärtigen musste, dass inzwischen auch seine Mutter hingeschieden war. Ganze drei Jahre hielt es Battouta in Tanger aus, dann reiste er erst nach Norden, nach Andalusien (das damals eben auch islamisiert war), dann in den Süden, nach Mauretanien, Mali und Niger. Ende 1353 kehrte er endgültig nach Tanger zurück. 1368 verstarb er dort. Von seinen 64 Jahren war er 26 unterwegs gewesen. Wissenschaftler, die seine Reisen nachrecherchierten, summierten seine zurückgelegten Wege auf 120’000 Kilometer. Ibn Battouta reiste drei Mal um die Welt, sozusagen. Das war seine Heldentat und machte ihm berühmt. Dabei, und das ist die letzte Parallele zum mir noch unberühmten Reisenden, schrieb Battouta alles auf, was er sah und erlebte. Auch Erlebnisse, die sich später als erfunden herausstellten (was ihn von mir wiederum unterscheidet). Seine Aufzeichnungen liess er unter dem Titel «rihla» (Reise) zurück. Sie wurden in der Zwischenzeit mehrmals übersetzt und auf deutsch unter «Reisen ans Ende der Welt» veröffentlicht. Darin nicht enthalten ist die Episode, in der Battouta schreibt (behauptet), das frisch geborene Kalb seines Kamels gegessen zu haben, weil es ihn an der Weiterreise gehindert hätte.