Deutsch & deutlich

Posted by michl on 14/10/2020 in nebi |

MICHAEL HUG

Es gibt doch die, die sich für dermassen wichtig halten, dass sie ihrer Aussage/Behauptung/Mist das Wörtchen «deutlich» dazwischenquetschen. «Äs isch düttlich süberer worde im Huus!» meint unser Hauswart selbstbelobigend (na ja). «Wir haben deutlich mehr erreicht…!» meint der rechte Politiker z’Bern oben ebenso selbstbelobigend (dies obwohl rechte PolitikerInnen eigentlich nie etwas erreichen). «Wir haben deutlich gesiegt!» sagt der Trainer im gebrochenen Deutsch am TV, auch selbstbelobigend, aber wenigstens hat er manchmal recht. Und auch das wird deutlich behauptet: «Die Zahl der VegetarierInnen hat deutlich zugenommen!» Dass die Weltbevölkerung auch zugenommen hat, wird in aller Deutlichkeit verschwiegen. So wie auch die Zahl der hornlosen Kühe, die Zahl der Business Coaches, die Zahl der schlechten Neuigkeiten – alles hat deutlich zugenommen.

Deutlich, alles ist deutlich, alles liegt deutlich vor einem oder zeichnet sich deutlich ab oder ist einfach deutlich so. Dabei ist doch überhaupt nichts deutlich heutzutags (ausser die Klimaveränderung). Deutlich wollen sie sprechen, die PolitikerInnen, und verdrehen doch alles. Deutlich will sich die Kassenfrau in der Migros ausdrücken und nuschelt doch nur «zweiundzwanzigfünfundsechsig» in ihr orangebraunes Übergwändli. Deutlich solle man sich ausdrücken, sagte der Lehrer/die Lehrerin damals in der Primarschule, als man gerade mal angefangen hatte, sich in Hochdeutsch auszudrücken versuchen zu müssen, dabei verstand man, als Kind, nicht mal alle Dialektausdrücke der näheren geografischen Umgebung. Und heute? Deutlich mehr Sonnentage hatte dieser Sommer. Wiewahr! Deutlich mehr SUV’s verkehren in den Städten seit 1999. Auch wahr (aber subjektiv). Deutlich kürzer sind die Gletscher geworden. Ebenso wahr, bzw. wir glauben, dass es wahr ist, weil uns ständig Bilder von deutlich kürzeren Gletschern gezeigt werden, sehen tun es ja die wenigsten von uns. Deutlich mehr Wespen/Zecken/Grasflöhe habe man von Juni bis August festgestellt (subjektiv, ausserdem standortabhängig). Deutlich weniger Asylanträge seien 2017 eingereicht worden (als wann?). Wo liegt eigentlich die Grenze zwischen weniger Asylanträgen und deutlich weniger Asylanträgen? Und dann die deutlichen Wahl-/Abstimmungsresultate. Mit deutlicher Mehrheit ist irgendwas angenommen worden. Deutlich? 55 Prozent ist 5 Prozent mehr als die Hälfte – ist das deutlich?

Deutlich lehnt sich «deutlich» gegen das Undeutliche dieser Zeit auf. Es ist eben nichts mehr deutlich, der Mensch will sich mit der Floskel «deutlich» deutlich von allem Undeutlichen abheben, er will damit auch irgendwie recht haben ohne laut zu werden. «Deutlich» tönt überzeugend, dagegen kann man doch fast nichts mehr entgegnen, «deutlich» lässt die Gegner verstummen, was wiederum an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Mit «deutlich» möchte ich ausdrücken, dass ich recht habe, und ihr mir glauben müsst, auch wenn ich eventuell selbst gar nicht so richtig überzeugt bin von dem Quatsch, den ich von mir gebe. Mit «deutlich» mache ich klar, dass es so ist, und zwar deutlich.

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